HISTORICAL BAND 295
verlangte Wulfrum seinem Pferd noch mehr ab, um den Abstand zu den Rebellen zu verkleinern. Die waren in südwestlicher Richtung unterwegs, sodass er ihr Ziel bald erraten konnte: Wessex. Wenn sie dort erst einmal ankamen, dann hatte er Elgiva so gut wie sicher verloren. Wieder sah er ihr Gesicht vor seinem geistigen Auge. Wie geschickt sie ihn doch getäuscht hatte, indem sie ihn hatte glauben lassen, sie sei tatsächlich an ihm interessiert, nur um ihn am Ende so gründlich zu hintergehen. Aber das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Nicht, solange er die Flüchtlinge nicht eingeholt hatte. Wenn das geschehen war, würde er zunächst Aylwin eigenhändig töten, und dann … dann …
Mühsam unterdrückte er ein Stöhnen, als die Trauer wie ein körperlicher Schmerz von ihm Besitz ergriff. Ein Schmerz, der ihn tiefer traf als jeder Schwerthieb. Obwohl alles gegen Elgiva sprach, konnte er noch immer nicht glauben, dass sie tatsächlich eines solchen Verrats fähig sein sollte. Hatte Eisenfaust womöglich recht? War sie gegen ihren Willen von den Rebellen mitgenommen worden? Oh, wie sehr wollte er das glauben, wie sehr wünschte er, dass sie unschuldig war, denn andernfalls würde es ihren Tod bedeuten.
Die Rebellen ritten, bis die Sonne dicht über dem Horizont stand, erst dann machten sie eine Pause, damit ihre Pferde sich eine Weile ausruhen konnten. Aylwin saß ab und hob Elgiva aus dem Sattel. Sie war todmüde und krank vor Angst, daher leistete sie keinen Widerstand. Außerdem war sie ohnehin verloren. Wulfrum hielt sich noch mindestens einen Tag in York auf, und wenn er zurückkehrte, würde er lediglich feststellen, dass sie verschwunden war. Das Schlimmste war, dass er glauben würde, sie habe ihn aus freien Stücken verlassen. Seine Wut auf sie würde gewaltig sein, dennoch wäre sie nichts im Vergleich mit ihrer eigenen Verzweiflung.
Während des langen Ritts hatte sie immer wieder nach Möglichkeiten gesucht, zu entkommen, aber vergebens. Sie befand sich ständig in der Mitte der Reitergruppe, und einer der Reiter hatte die Zügel ihres Pferds in der Hand. Außerdem waren ihre Hände gefesselt, sodass jeder Versuch, die Kontrolle zu gewinnen, ohnehin von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Selbst während der Rast ging Aylwin kein Risiko ein und ließ sie an einen Baum fesseln. Die Riemen saßen nicht so fest, dass sie ihr Schmerzen bereiteten, waren jedoch so sicher verknotet, dass sie nicht darauf hoffen konnte, sich von den Fesseln zu befreien. Aylwin beobachtete das Ganze sichtlich betrübt.
„Es tut mir leid, Elgiva, aber es geschieht nur zu Eurem Wohl.“
„Nein“, erwiderte sie. „Es geschieht zu Eurem Wohl.“
„Ich wünschte, es wäre nicht notwendig.“
Sobald er sie allein gelassen hatte, um mit seinen Leuten zu reden, zerrte Elgiva an ihren Fesseln, aber die gaben nicht im Mindesten nach. Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie verfiel in tiefe Verzweiflung. Spätestens jetzt wusste sie, dass sie Wulfrum niemals wiedersehen würde.
17. KAPITEL
Als er ein Stück voraus eine verräterische Staubwolke bemerkte, verspürte Wulfrum ein Gefühl wilder Befriedigung. Als sich die Wolke allmählich auflöste, verstärkte sich dieses Gefühl noch. Die Angelsachsen hatten angehalten. Sie rechneten anscheinend nicht damit, dass sie jetzt schon verfolgt wurden. Wulfrum zügelte sein Pferd, dann gab er seinen Männern das Signal, anzuhalten. Schließlich ließ er sie absitzen.
„Wir schleichen uns so nahe wie möglich an sie heran, dann schlagen wir zu und töten sie. Wir nehmen keine Gefangenen, mit einer Ausnahme.“ Er ließ eine kurze Pause folgen und zog sein Schwert. „Meine Frau wird zu mir gebracht – lebend und ohne einen Kratzer.“
Auf seinen Befehl hin rückten die Wikinger vor, bis sie nur noch fünfzig Schritt von ihren Feinden entfernt waren. Dann stürmten sie auf die völlig überrumpelten Angelsachsen los. Sein Schwert Drachenzahn vor sich erhoben, rannte Wulfrum an der Seite seiner Männer aus der Deckung und holte mit der Klinge nach links und rechts aus, sodass etliche seiner Kontrahenten getroffen zu Boden sanken, bevor sie auch nur ihre Waffe hätten ziehen können. Von allen Seiten waren Rufe und Flüche zu hören, in die sich Schmerzensschreie mischten. Obwohl sie überrumpelt worden waren, setzten die überlebenden Angelsachsen sich mit dem Mut der Verzweiflung zur Wehr, um ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
Inmitten des Kampfgetümmels
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