HISTORICAL BAND 295
zugegeben, sich mit Aylwin getroffen zu haben. Er konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob sie ihm bei seinen Plänen geholfen hatte. Hatten sie womöglich gemeinsam seine Ermordung geplant? Der Gedanke war beängstigend, aber Wulfrum musste sich ihm stellen. Sie hatte ihn hintergangen, vielleicht öfter, als sie zugegeben hatte. Bald schon würde er die Wahrheit herausfinden.
Er und seine Gefährten legten den Rest der Strecke so schnell zurück, wie ihre Pferde es zuließen, und endlich sahen sie Ravenswood vor sich. Die Wachposten verkündeten seine Rückkehr, und sofort kamen von allen Seiten Diener herbeigeeilt. Wulfrum ritt an der Spitze seiner Eskorte durch das Tor und brachte sein Pferd vor dem Turm zum Stehen. Ido und einige andere kamen nach draußen, um sie zu begrüßen. Von Elgiva war nirgends etwas zu sehen. Mit jedem Herzschlag wurde das ungute Gefühl stärker. Er saß ab, warf die Zügel einem Pferdeknecht zu und rannte in den Saal.
„Elgiva!“
Seine Stimme hallte von den Wänden wider, aber es kam keine Antwort. Aufgebracht lief er die Treppe hinauf, dann stürmte er in ihr gemeinsames Schlafgemach. Ein Blick genügte, um zu erkennen, dass es verlassen war. Also suchte er weiter. Im Frauengemach stellte er Osgifu zur Rede, aber die beteuerte, nichts über Elgivas Verbleib zu wissen. Sein Zorn wurde so übermächtig, dass er die Frau packte und schüttelte.
„Lüg mich nicht an, Weib. Wo ist sie?“
Osgifu wurde bleich. „Herr, ich weiß es nicht mit Sicherheit.“
„Was soll das heißen?“
„Am frühen Nachmittag sagte sie, sie wolle zu den Gräbern gehen, seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.“
„Zu den Gräbern?“ Wulfrum überlegte. Die Grabstätten waren nur einen Steinwurf weit vom Waldrand entfernt. Er sah Osgifu wütend an. „Was noch?“
„Herr, das ist alles, was ich weiß, ich schwöre es!“
„Wenn du mich anlügst, war dies dein letzter Tag auf Erden!“ Er ließ sie los. „Und jetzt hol mir eines von Elgivas Kleidern, und zwar auf der Stelle!“
Völlig eingeschüchtert lief Osgifu los, während Wulfrum sich an Ido wandte: „Schick’ die Hüter mit den Hunden her und lass mir ein ausgeruhtes Pferd satteln!“
„Sofort, Herr!“
Ido eilte davon. Unterdessen atmete Wulfrum ein paarmal tief durch und versuchte, seine Gedanken zu ordnen und seine Wut zu bändigen. Eine Stimme durchschnitt die plötzliche Stille.
„Du glaubst, sie ist geflohen“, sagte Eisenfaust ihm auf den Kopf zu.
„Das weiß ich noch nicht, aber ich werde es herausfinden.“
„Möglicherweise hat man sie verschleppt.“
Wulfrum ballte die Fäuste. „Ja, möglicherweise.“
„Vielleicht solltest du nicht das Schlechteste von ihr denken.“ Olaf nahm Wulfrums finsteren Blick ungerührt hin. „Ich halte sie nicht für eine Verräterin.“
Jeder andere hätte für eine solche Bemerkung mit seinem Blut bezahlt. Wulfrum kniff kurz die Lippen zusammen und versuchte sich zu beherrschen. „Sag den Männern, sie sollen aufsitzen.“
Eisenfaust wandte sich ab, um den Befehl weiterzugeben. Wulfrum sah ihm einen Moment lang nach, bis Osgifu neben ihn trat und ihm eines von Elgivas Kleidern hinhielt. Es war das goldgelbe Kleid, das sie bei ihrer Heirat getragen hatte. Die Erinnerung daran war so schmerzhaft, als stieße ihm jemand eine Klinge ins Herz. Wortlos nahm er das Kleidungsstück an sich und überquerte den Hof. Wenn er seine Frau wiederfinden wollte, mussten die Hunde den Geruch kennen, nach dem sie suchen sollten.
Die Hunde führten sie vom Gräberfeld zielstrebig zu einer Lichtung, doch dort schienen sie die Witterung zu verlieren. Nach einer gründlichen Sichtung des Geländes rief Ido: „Hier haben sich etliche Pferde aufgehalten, Herr. Ich würde schätzen, etwa fünfzehn bis zwanzig.“
Einen Moment lang schwieg Wulfrum, sein Gesicht war leichenblass. Elgiva hatte den Moment mit großer Sorgfalt gewählt. Sie und ihr angelsächsischer Lord hatten inzwischen einen beträchtlichen Vorsprung. Er krallte die Finger in den Stoff ihres Hochzeitskleids und rang mit sich, um nicht vor Wut und Verzweiflung laut aufzuschreien. Erst als er sich sicher war, dass seine Stimme seine Gefühlsregungen nicht verraten würde, drehte er sich zu Ido um.
„Wir folgen ihnen.“
Die Fährte war mühelos zu verfolgen, da die Flüchtlinge offensichtlich nicht mal den Versuch unternommen hatten, ihre Spuren zu verwischen. Es wurde deutlich, dass sie es sehr eilig gehabt hatten, also
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