HISTORICAL BAND 295
Ravenswood entfernt, und damit von jeder Hoffnung auf Rettung. Überdies würde es noch einige Zeit dauern, ehe überhaupt jemandem ihr Verschwinden auffiel. Und selbst dann konnte niemand wissen, wo sie war. Aylwin hatte sich tatsächlich einen raffinierten Plan ausgedacht. Alles, was sie je für ihn empfunden hatte, jegliches Mitgefühl für ihn, hatte sich längst in Luft aufgelöst. Er dachte nur noch an seine eigenen Wünsche und kümmerte sich nicht darum, was sie eigentlich wollte – so wenig, dass er sich sogar mit Gewalt nehmen würde, was sie ihm nicht freiwillig geben konnte. Angst überkam Elgiva. Wenn er es mit ihr und seinen Männern bis nach Wessex schaffte, dann gab es für sie keine Hoffnung mehr. Nicht einmal Wulfrum konnte ihr bis dorthin folgen. Wulfrum! Wenn er bloß den Hinterhalt überlebte, den man für ihn geplant hatte. Nur das zählte, alles andere war zweitrangig.
So sehr war sie in Gedanken vertieft, dass sie Aylwin gar nicht bemerkte, bis er sie auf einmal ansprach.
„Warum blickt Ihr so traurig drein, Elgiva?“
Sie drehte sich zu ihm um und hoffte, wenigstens eine Spur von Bedauern in seinen Gesichtszügen zu entdecken, einen winzigen Hinweis auf Mitgefühl.
„Ihr kennt den Grund dafür“, erwiderte sie.
„Habe ich Euch etwa nicht aus den Klauen des Wikingers gerettet? Verdiene ich keinen Dank?“
„Wulfrum ist mein Ehemann.“
„Aber nicht mehr lange.“
„So leicht ist er nicht zu töten.“
„Das ist nicht weiter wichtig.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„Eine Ehe, die unter Zwang mit einem Eroberer geschlossen wurde, ist nicht gültig. Sobald wir Wessex erreichen, werde ich mich an König Alfred wenden. Er wird mir dankbar sein, dass ich ihm Verstärkung bringe, und er ist äußerst fromm. Ich sehe keine Schwierigkeiten, Eure Ehe mit dem Wikinger für ungültig erklären zu lassen.“
„Angenommen, das gelingt Euch. Was dann?“
„Dann werdet Ihr mich heiraten, so wie es mir als Eurem Verlobten rechtmäßig zusteht.“
„Ich werde Euch nicht heiraten, Aylwin.“
„Wenn es vom König so bestimmt wird, meine liebe Elgiva, habt Ihr gar keine andere Wahl.“
Sie schloss für einen Moment die Augen und wollte nicht wahrhaben, dass er recht hatte. Wenn der König es anordnete, würde sie sich seinem Willen unterwerfen müssen. Aylwin konnte sie dann auf der Stelle heiraten. Aus Verzweiflung machte sie einen letzten Versuch, ihn umzustimmen.
„Wozu soll das gut sein? Wollt Ihr eine Braut haben, die Euch nicht will?“
„Ich hätte es natürlich lieber, wenn ihr mich wollt, Elgiva, aber ich werde Euch so oder so haben.“ Sein Blick nahm einen feindseligen Ausdruck an. „Vergesst Euren dänischen Jarl. Ihr gehört jetzt mir.“
Elgiva atmete tief durch, um gegen das unbändige Entsetzen anzukämpfen, das sie zu überwältigen drohte. Er würde nicht erleben, wie sie ihn unter Tränen anflehte. Nein, diese Genugtuung sollte er nicht bekommen. Als Aylwin sah, wie sie trotzig ihr Kinn hob, nickte er.
„Schon besser. Wisst Ihr, ich habe immer Eure Kämpfernatur und Euren gesunden Menschenverstand bewundert, Elgiva. Ihr kämpft gut, aber Ihr wisst auch, wann ein Kampf nicht lohnt, weil Ihr nicht siegen könnt.“
„Es ist noch nicht vorbei.“ Noch während sie die Worte sprach, fragte sie sich, ob das wohl wirklich stimmte. Aylwin war stark und erfinderisch, und er hatte sie nun in seiner Gewalt.
„Wollen wir eine Wette abschließen?“
„Dann wette ich, dass Ihr durch Wulfrums Schwert sterben werdet.“
„Nun, in dem Fall habt Ihr schon verloren. Ich bin jetzt Euer Herr und Meister.“
Wulfrum trieb seinen Hengst zum Galopp an, um den Rest des Weges bis nach Ravenswood so schnell wie möglich zurückzulegen. Während er ritt, wurden die Gedanken in seinem Kopf immer klarer. Er wusste jetzt mit Sicherheit, dass er in diesem Hinterhalt zusammen mit seinen Männern hatte sterben sollen. Das war kein zufälliger Angriff gewesen. Die Angreifer waren Angelsachsen gewesen, und es gab in dieser Gegend nur einen Mann, der genug Einfluss besaß, um einen solchen Überfall anzuordnen – genug Einfluss und ein Motiv. Aylwin. Er hatte sich nicht dem Joch der Wikinger gebeugt, und er hatte auch nicht vergessen, dass ihm sein Land und seine Verlobte genommen worden waren. Er würde Elgiva in seine Gewalt bringen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam. Vor seinem geistigen Auge sah er das Gesicht seiner Ehefrau, und wieder erwachte das Misstrauen. Sie hatte
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