HISTORICAL BAND 295
Elgiva begriff, was er vorhatte, schrie sie vor Entsetzen laut auf.
„Nein!“
Sweyn verzog den Mund zu einem gehässigen Grinsen.
Auf einmal ertönte eine Stimme, die lauter war als Elgivas Schrei. „Halt!“ Es gab keinen Zweifel daran, dass dies ein Befehl war. „Das reicht! Setz das Kind ab, Sweyn.“
Zitternd drehte Elgiva sich zu dem Mann um, der soeben gesprochen hatte, einem großen Krieger. Sein Gesicht war hinter den metallenen Schilden seines Helms verborgen, aber es war nicht zu übersehen, dass er für die Eindringlinge ein Befehlshaber war. Seine blauen Augen waren auf den Mann namens Sweyn gerichtet, und auch Elgiva sah wieder zu ihm hinüber, da sie fürchtete, er könnte sein grausames Vorhaben doch noch in die Tat umsetzen. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung setzte er den Jungen jedoch ab, der sofort zu ihr gelaufen kam und sich an sie klammerte. Ohne von ihnen Notiz zu nehmen, sagte Sweyn an den anderen Mann gerichtet: „Haben wir nicht geschworen, Ragnar mit Feuer und Schwert zu rächen?“
„Ja, Mann gegen Mann. Aber führen Männer etwa auch Krieg gegen kleine Kinder?“
„Das ist doch bloß ein angelsächsisches Gör. Was macht das schon?“
Elgiva wurde es übel, als sie die abfälligen Worte hörte. Dadurch entging ihr der beiläufige Blick, den der dunkelhaarige Krieger ihr zuwarf, ehe er sich wieder Sweyn vornahm.
„Sklaven sind wertvoll, egal welchen Alters. Wir brauchen jeden Einzelnen von ihnen. Heute wird hier niemand mehr getötet.“ Der Tonfall war ruhig, fast gelassen, aber er ließ keinen Widerspruch zu.
Sweyn hob lässig die Schultern an. „Wie du meinst, Wulfrum.“ Dann drehte er sich zu Elgiva um. „Aber mit ihr bin ich noch nicht fertig.“
Hastig stand sie auf und schickte Ulric zu einer der Dienerinnen. Als Sweyn auf sie zuging, rannte sie blindlings Richtung Tür. Doch sie kam nicht weit, da der Krieger, der zuletzt das Gemach betreten hatte, sie aufhielt. Sie stemmte die Hände gegen seine Brust, um den Mann aus dem Weg zu schieben. Er stand unverrückbar wie ein Fels da, packte sie bei den Armen und setzte ihrer Flucht ein jähes Ende.
„Nicht so schnell.“
Er sprach mit tiefer und ruhiger Stimme, die sogar ein wenig amüsiert klang. Elgiva ließ den Blick von seiner Brust langsam nach oben wandern, bis sie sein kantiges Kinn und die sinnlichen, vollen Lippen betrachtete, die zu einem freundlichen Lächeln verzogen waren. Als sie sich gegen seinen Griff wehrte, bewirkten selbst ihre größten Anstrengungen lediglich, dass er noch vergnügter lächelte.
„Ich nehme dieses Weib an mich, Wulfrum“, erklärte Sweyn, der dicht neben ihnen stehen geblieben war. „Ich werde dieser Teufelin schon Respekt beibringen, und zwar umgehend.“
Als er noch einen Schritt näherkam, drückte Elgiva sich unwillkürlich an Wulfrum, da in Sweyns Augen etwas Furchterregendes funkelte.
„Bei Odins Blut, ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass sie diejenige war, die dir noch das eine oder andere beigebracht hat, Sweyn“, konterte ein anderer Krieger, der nun vortrat und sich zu Wulfrum stellte.
Unter dem spöttischen Gelächter, das dieser Bemerkung folgte, sah Elgiva sich zu dem Mann um, der diese Worte gesprochen hatte – und erstarrte. Ein Hüne von furchterregender Gestalt, gut einen Kopf größer als alle übrigen Anwesenden und über und über mit Blut bespritzt. Tiefe Falten hatten sich in sein wettergegerbtes Gesicht gegraben, doch die grauen Augen blickten kühl und scharfsinnig. In einer Hand hielt er eine blutverschmierte Streitaxt.
„Eisenfaust hat recht!“, rief ein anderer. „Sie ist zu wehrhaft für dich, Sweyn!“
Sweyn warf ihm einen wütenden Blick zu. „Das werden wir ja sehen.“
„Du bist zu unaufmerksam mit deinen Gefangenen“, erklärte Wulfrum. „Du hast die Frau entwischen lassen. Ich habe sie an der Flucht gehindert, daher gehört sie jetzt mir.“
Erschrocken hob Elgiva den Kopf, doch Wulfrums Blick war auf Sweyn gerichtet. Eine Hand ruhte auf ihrer Schulter, die andere auf seinem Schwert.
„Das ist richtig“, bestätigte Eisenfaust. „Wir alle haben es gesehen.“
„Nein, Wulfrum, ich bleibe dabei. Sie gehört mir.“
„Nein. Du hast sie entkommen lassen.“
„Wulfrum spricht die Wahrheit“, meinte ein anderer.
Zustimmendes Gemurmel machte sich breit, das Sweyn wütend nach links und rechts schauen ließ. Elgiva hielt gebannt den Atem an und betete, dass er sich nicht durchsetzte, da sie lieber gar nicht
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