Historical Band 298
so oft ignoriert wie befolgt.
Was spielte es schon für eine Rolle, ob ein Student die ganze Nacht zechte, wenn er sich nur am nächsten Tag bei den dies legibiles , den Vorlesungen, sehen ließ?
Er rollte sich aus dem Bett, zog sich die schwarze Robe des Masters über, griff nach den Kirchenschlüsseln und machte sich auf den Weg, um den wartenden Gläubigen das Portal aufzuschließen. Diese Kirchenpflicht war Teil des Preises, den er für sein Stipendium bezahlen musste.
Sein Traum verfolgte ihn während des ganzen Weges über den Marquet Square bis zur High Street und erinnerte ihn an die Gelüste, über die er Little John belehrt hatte.
Nicht gerade das passende Thema, wenn man auf dem Weg zum Frühgottesdienst war.
Vielleicht hatte das Zusammentreffen mit der Frau auf der Straße die Lust in ihm geweckt. Oder das Gespräch über Frauen und Männer.
Oder die Erleichterung zu erfahren, dass es Little John in dieser Beziehung an nichts fehlte.
Na ja, so ganz stimmte das nicht. Was dem Jungen zugestoßen war, hatte ihn verletzt zurückgelassen, auch wenn man es auf den ersten Blick nicht sah. Bei einem Mann wäre eine solche Verletzung nach ein paar Monaten verheilt. Aber bei einem Jungen? Sie fügte ihm einen immerwährenden Schmerz zu, der vielleicht groß genug war, sein Wachstum zu behindern und ihn unfähig zu machen, das Schwert zu führen. Verkrüppelt, wie er war, würde er den Besitz seines Lehnsherrn sicher nicht halten können.
Empfindliche Rippen waren das eine, ohne sein bestes Stück leben zu müssen, war aber doch etwas anderes.
Er freute sich, dass der Junge auf die Freuden der Liebe nicht würde verzichten müssen. Gerade wegen dieser Freuden hatte Duncan sich damals entschlossen, nur die niederen Weihen zu empfangen.
Aber jetzt, wo er über dieses Thema nachdachte, beherrschte es seinen Körper und ließ ihn nicht mehr los. Duncan drehte rasselnd den Schlüssel im Schloss des Kirchenportals und beobachtete dann den schläfrigen Einzug der Gläubigen. Zum Glück verbarg die wallende schwarze Robe seinen Körper. Er verriet nämlich überdeutlich, dass man Duncans Gedanken im Augenblick nicht gerade heilig nennen konnte.
Der Kanzler und der Bischof schienen nicht zwischen einer Universität und einem Kloster zu unterscheiden. Sie missbilligten es, wenn die Scholaren sich mit Frauen einließen. Vielleicht glaubten sie, junge, gesunde Männer würden die Frauen vergessen, wenn man diese nur von ihnen fernhielt.
Er, Duncan, war der lebende Beweis dafür, dass das ein Trugschluss war.
Vielleicht war jetzt der richtige Moment, Little John in die Freuden des weiblichen Fleisches einzuführen. Jetzt, da er wusste, dass die Verletzung des Jungen ihn nicht daran hindern würde, konnte er die Erziehung des Jungen in die Hand nehmen.
Der Bursche wusste bestimmt nichts über die Frauen.
Es war der Morgen des Tages, an dem der König sich angekündigt hatte, und der Junge war nirgends zu sehen.
Duncan hatte John einen ganz einfach Auftrag gegeben: Er sollte seine Universitätsrobe holen und ihm helfen, sich für die Zeremonie anzukleiden. Alle anderen waren bereits fort. Der Morgen war schon halb vorbei, der König würde noch vor dem Mittag ankommen, und weder die Gewänder noch der Junge waren auffindbar.
Mit nacktem Oberkörper sah er aus dem Fenster zum Abtritt im hinteren Teil des Hofes. Dann stürmte er mit wachsender Wut aus der Kammer.
John war ein ernsthafter Junge, aber in den letzten Tagen hing er zu oft Tagträumen nach, wenn es Zeit zur Arbeit war. Es schien ihm nicht klar zu sein, dass andere doppelt hart arbeiten mussten oder dass Männer hungrig blieben, wenn er nicht in der Küche erschien.
Duncan war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, den verhätschelten Jungen zu beschützen oder dem Verlangen, ihn kräftig zu schütteln. John tat das alles sicher nicht aus bösem Willen, aber er schien sich für nichts verantwortlich zu fühlen.
Duncan dagegen fühlte sich für alles verantwortlich. Vielleicht beneidete er den Jungen auch für seine Sorglosigkeit.
„Little John!“, bellte er. „Wo bist du?“
Die Worte hallten in der leeren Herberge wider. Alle waren fort, um einen guten Platz zu finden, von wo aus sie einen Blick auf den feierlichen Einzug des Königs werfen konnten.
„Hier oben.“
Er folgte der Stimme hinauf zum Schlafsaal der Jungen im obersten Stock. Wütend, weil der Junge nicht zu ihm gekommen war, stampfte er die Stufen hinauf. „Wo zum Teufel ist
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