Historical Band 298
brachte ihn tatsächlich zum Lachen, und er schlug ihr anerkennend aufs Knie. „Neminem riseris.“
Sie lachte auch und beugte sich vor. Plötzlich waren ihre Gesichter, ihre Lippen einander zu nahe. Ihr Atem ging schnell, seiner ebenfalls. Sie schwankte leicht. Ihre Lippen streiften seine Wangen, spürten die Bartstoppeln.
Er fuhr zurück.
Stille. Gefährliche Stille.
Aprupt stand er auf. „Genug für heute Nacht.“
Sie konnte immer noch seine Hand auf ihrem Knie spüren, seinen Atem an ihrer Wange, die rauen Bartstoppeln an ihren Lippen. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Nicht jetzt. „Seit der Nacht in der Bierschänke habt Ihr Eure Laute nicht mehr gespielt. Ich würde ihr gerne lauschen.“
Er schwieg, und sie verfluchte sich dafür, dass sie gefragt hatte. Es war die Frau in ihr, die ihn bei sich behalten wollte. Ob er das spürte?
„Warte hier.“ Er ließ sie in der Dunkelheit allein.
Kurz darauf kehrte er mit dem Instrument zurück. Zuerst zupfte er nur ein paar einzelne Akkorde, doch dann ließ er eine mitreißende Melodie erklingen, die sie aus der Schänke kannte.
Als Brüder wandern wir,
Essen, trinken, lieben und prassen,
Wie der Papst es uns befahl,
Leben wir als Freunde, für immer treu.
„Sing mit“, sagte er, während seine Finger mit unglaublicher Schnelligkeit die Saiten anschlugen.
Sie biss sich auf die Zunge und schüttelte den Kopf. „Ich bin kein so guter Sänger. Ich summe nur.“ Fest presste sie die Lippen zusammen, um ja nicht der Versuchung zu erliegen, doch mitzusingen.
„Hast wohl noch immer keine Männerstimme?“
Er musste Verdacht geschöpft haben. Sie war ihm zu nahe. Hatte zu viel von sich gezeigt. Ihre Berührung war zu bereitwillig gewesen, ihr Atem war zu schnell gegangen, ihre Lippen waren zu weich.
„Ja. Genau.“ Wann verwandelte sich die Stimme eines Jungen eigentlich in die eines Mannes? „Ich höre mich immer noch viel zu sehr wie ein Mädchen an.“ Die Abscheu in ihrer Stimme war nicht gespielt.
„Na gut, dann summe eben.“ In seiner Stimme schwang eine unausgesprochene Frage mit.
Also summte sie so inständig, dass ihre Lippen bebten.
Das Lied wollte kein Ende nehmen, war erfüllt von Gelächter und Kameradschaft, und wenn die Worte fehlten, sang Duncan einfach tara, tantara, teino .
Sie summte, weil es ihr Vergnügen bereitete, wie die Musik in ihrem Körper vibrierte, weil es ihr einen diebischen Spaß machte, über Dinge zu singen, von denen eine Dame nichts wissen durfte. Und sie summte aus der Freude heraus zu hören, wie ihre Melodie sich im Dunkeln mit seiner wundervollen Stimme verwob.
Er dichtete Vers über Vers, erfand neue Wörter, bis er ein letztes tara, tantara, teino sang und mit einer triumphierenden Geste den letzten Akkord schlug.
„Ihr singt so gut wie ein fahrender Sänger“, stellte Jane atemlos fest.
Duncan schien sich nicht von seinem Instrument lösen zu können. Spielerisch zupfte er weiter die Saiten. „Der Winter ist lang. Bei uns kommen keine fahrenden Sänger vorbei. Wir machen uns unsere Musik selbst.“
„Eure Familie muss jeden Abend zusammen gesungen haben.“
Die wohlklingenden Töne endeten abrupt in einer Dissonanz, und er legte das Instrument beiseite. „Du hattest kein Recht, das Wort an den König zu richten.“
Sie blinzelte verwundert. Kaum erwähnte sie seine Familie, wurde er zu einem Fremden, der sie ausschimpfte. Wieder ärgerte sie sich über sein Verhalten. Wüsste er, wer sie in Wirklichkeit war, wüsste er auch, dass ihr eher als ihm das Recht zustand, mit dem König zu sprechen.
„Ich habe doch nichts Schlimmes getan.“ Einen Moment lang fragte sie sich, was ihn wohl zorniger machen würde: Zu wissen, wessen Bluts sie war, oder zu wissen, dass sie eine Frau war?
„Ach, glaubst du? Was, wenn ich es nicht schaffe, dir genügend Latein beizubringen, dass du damit vor den König treten kannst? Was wird er dann von mir denken?“
Sein Vater. Er brauchte des Königs Hilfe, um seinen Vater zu befreien. Und durch ihr Verhalten war sein Vorhaben jetzt vielleicht gefährdet.
„Ich dachte nicht an Euch, als ich ihn ansprach“, murmelte sie. Auch wenn sie glaubte, sich wie ein Mann benehmen zu können, wurde sie doch immer noch von ihren Gefühlen beherrscht.
„Du denkst wohl immer nur an dich selbst, was?“
Die Schamröte trat ihr ins Gesicht. Seine Worte ließen die Unabhängigkeit, nach der sie strebte, so selbstsüchtig erscheinen. Denn er war ein Mann und hatte
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