Historical Band 303
seine schmuddelige Kleidung und schenkte ihm – was nützlicher war – ein großes Glas Brandy ein. Langsam trank Jacques es aus, während er über das faszinierende Abenteuer nachdachte, in das er sich Hals über Kopf gestürzt hatte.
3. KAPITEL
D er Hochzeitstermin rückte unaufhaltsam näher. Jeden Tag leitete Sophie die kleine Gruppe geschickter Näherinnen an, die gemeinsam mit ihr die kaiserliche Suite im Palais des Tuileries für Erzherzogin Marie-Louise vorbereiteten. Und jeden Tag eilte sie nach der Arbeit zu ihrem kranken Vater. In der ganzen Stadt wurden unübersehbar aufwendige Vorkehrungen für das große Ereignis getroffen. Die Champs Elysées wurden mit zahlreichen Flaggen und Girlanden geschmückt und in den Tuileriengärten kümmerten sich Hunderte Gärtner hingebungsvoll darum, dass die Blumenrabatten in leuchtender Pracht erstrahlten.
Die arme Marie-Louise, dachte Sophie dann stets. Zu einer Ehe gezwungen mit einem Mann, den sie kaum kannte!
Wie verabredet traf sich Sophie auch jeden Abend eine Stunde, ehe der Louvre seine Pforten vor den Besuchermassen schloss, mit Jacques und verschwand mit ihm ungesehen im Salon Carré.
Er war ein ausgezeichneter Künstler, wie sie inzwischen wusste: schnell und gewissenhaft. Als er mit der Arbeit an dem ersten Gemälde begann, war sie vor Sorge außer sich gewesen. Zwar hatte sie seine Skizzen gesehen, doch dadurch ließ sich keineswegs feststellen, ob ihm auch die Ausführung der Korrekturen gelingen würde. Was, wenn seine Arbeit nun doch inakzeptabel war? Was, wenn er die wertvollen Meisterwerke ruinierte?
Dabei wusste er genau, was er tat – hatte genau die richtigen Pinsel und Farben mitgebracht, um die dunklen, lebhaften Züge von Joséphine in die helle Schönheit der viel jüngeren Marie-Louise zu verwandeln. Für eine Weile vergaß sie sogar, dass er für seine Arbeit einen unverschämten Preis verlangte. Als er ihr bedeutete, sein erstes vollendetes Werk zu begutachten, stand Sophie außer sich vor Begeisterung davor. „Es verwundert mich, dass Sie ein armer Straßenkünstler sind. Sie könnten viel Geld verdienen!“
Er lächelte – ein träges, sinnliches Lächeln, das sie aus der Fassung zu bringen drohte. „Ich arbeite nicht umsonst“, sagte er gedehnt und sah sie derart vielsagend an, dass ihr die Knie weich wurden.
Ein Kuss. Für jede Stunde, die er malte.
Sein erster Kuss hatte ihr den Verstand geraubt. Wie würde der nächste sein?
Am zweiten Abend wartete sie mit heftig klopfendem Herzen darauf, dass er seinen Lohn einforderte. Doch nachdem er schließlich im schwachen Kerzenschein der herrlich geschmückten Hochzeitskapelle Pinsel und Farben in seine Taschen gesteckt hatte und zu ihr kam, nahm er bloß ihre Hand, hob sie an seinen Mund und drückte einen sanften Kuss darauf.
Hörbar atmete sie aus, überflutet von einer Woge der Erleichterung – oder war es etwa Enttäuschung?
„Ist das alles?“, fragte sie leise.
„Das ist alles“, antwortete er gelassen. „Es war falsch von mir, Ihre missliche Lage derart auszunutzen, wie ich es getan habe.“
„Aber wir haben eine Vereinbarung!“
„Die Vorauszahlung gestern war mir bereits Lohn genug, glauben Sie mir.“
Äußerlich gefasst schaute sie ihn an. „Nun gut. Wir sollten besser gehen. Es ist gleich sieben und die Wachen beginnen sicher bald mit dem Rundgang.“
Sie schloss die Tür auf und er verabschiedete sich von ihr. Ein Stich der Enttäuschung bohrte sich in ihr Herz. Ein Kuss war ihm genug. War sie etwa so hässlich? Ja, es konnte wohl nicht anders sein. Ja. Sie war lediglich ein kurzes Amüsement für ihn gewesen, mehr nicht – eine amüsante Herausforderung, um zu sehen, wie weit sie in ihrer Verzweiflung für die Erfüllung ihres Wunsches gehen würde. Er hatte lediglich ihr Pflichtbewusstsein auf die Probe stellen wollen, ihre Ernsthaftigkeit, ihre Unschuld!
Tatsächlich hütete Sophie ihre Unschuld wie einen Schatz. Doch nur, weil sie bereits so viele Frauen in ihrer Position gesehen hatte – niedrige Dienstboten für die Größen der Gesellschaft –, die sich hatten verführen lassen und danach grausam fallen gelassen wurden. Sie hatte sich geschworen, dass ihr so etwas niemals passieren würde, deshalb kleidete sie sich absichtlich reizlos schlicht und gab sich betont tugendhaft.
Bisher hatte ihr dieses Vorgehen Schutz geboten. Aber Jacques, dieser unverschämte Künstler, entfachte nie gekannte Gefühle in ihr, entfesselte ungeahnte
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