Historical Band 303
Landschaftsgemälde, das einen See zeigte, „… in Gestalt einer Nymphe.“
Er beugte sich vor, um das Bild genauer zu betrachten. „Sie ist ein wenig zu alt für solch spärliche Kleidung.“
„Sie ist einmal eine große Schönheit gewesen“, erwiderte Sophie recht heftig. Insgeheim hatte sie sich Joséphine in gewisser Weise immer verbunden gefühlt. Nicht die vielen Affären, die sowohl Joséphine wie auch Napoleon genossen hatten, waren der Grund für ihre Trennung gewesen, so sagte ihr Vater, sondern die Tatsache, dass sie dem Kaiser keinen Erben schenken konnte. „Nun ja, schön oder nicht“, fuhr sie fort, „man hat sie auf zahlreichen Gemälden dargestellt, um ihn zu erfreuen.“ Ihr Gesicht verschloss sich. „Deshalb benötigen wir nun dringend jemanden, der ihr Antlitz aus all diesen Kunstwerken wieder löscht.“
„Und stattdessen die Erzherzogin Marie-Louise hineinmalt?“
„Das ist leider nicht möglich, da niemand sie bisher gesehen hat.“
„Nicht?“ Beiläufig zog er ein kleines Skizzenbuch aus seiner Tasche und blätterte mehrere Seiten um, bis er zu einem Aquarell gelangte. Es zeigte eine junge Frau mit hellbraunem Haar und sympathischem Gesicht, die eine Tiara und ein Perlencollier trug. „Die Erzherzogin“, sagte er.
„Sie sind in Österreich gewesen?“, fragte Sophie erstaunt.
„Vor einigen Monaten, ja.“ Er lächelte. „Ich bin ein vagabundierender Tunichtgut. Ich nehme Aufträge an, wo immer sie sich mir bieten.“
„Mich wundert, dass der Kaiser Sie nicht bereits höchstpersönlich beauftragt hat“, erwiderte sie schroff.
„Napoleon? Oh, er bevorzugt berühmtere Künstler. Er hat Canova den Auftrag gegeben, eine Marmorstatue von ihm anzufertigen, die ihn als Friedensstifter Mars darstellt, aber die Statue befindet sich noch in Rom – ich habe sie dort gesehen. Canova weiß nicht recht, wie er sie nach Paris schaffen soll, teilweise aus finanziellen Gründen, teilweise aber auch, weil er Napoleons weit weniger friedvolle Eroberung seines Heimatlandes Italien missbilligt.“
„Oh! Diese Statue würde ich gerne sehen!“
„Das glaube ich.“ Er schenkte ihr ein süffisantes Lächeln. „Canovas Napoleon ist ungefähr drei Meter groß und splitterfasernackt.“
Sie spürte, wie ihr die flammende Röte ins Gesicht stieg. Pfeifend, die Hände in den Taschen seines schäbigen schwarzen Gehrocks vergraben, schlenderte Jacques in dem dämmrigen, nur von Kerzenlicht beleuchteten Raum umher, um die Bilder genauer zu studieren. Wie gebannt beobachtete sie ihn. Er faszinierte sie. Verwandelte sie in ein nervliches Wrack. So atemberaubend gut aussehend war er. So … ungezwungen und gelassen.
Unvermittelt wirbelte er herum und ertappte sie dabei, wie sie ihn anstarrte. „Einige dieser Gemälde sind von David“, meinte er. „Er ist der offizielle Hofmaler. Warum lassen Sie ihn nicht die Korrekturen erledigen?“
Sie presste die Lippen zusammen, ehe sie antwortete: „Weil wir uns seine Dienste nicht leisten können!“
„Aber gewiss billigt man den Kuratoren doch Mittel für solche Zwecke zu?“
„Die sind bereits aufgebraucht.“ Dieses Mal zitterte ihre Stimme, nur ganz leicht. „Alle aufgebraucht, bis auf zweihundert Francs.“ Und das waren eigentlich ihre Ersparnisse.
Der Mann, der sich Jacques nannte, kam näher. Unwillkürlich wich sie zurück und stieß an eine Säule. „Wissen Sie“, sagte er. „Sie sind sehr schön. Sie müssen mir erlauben, Sie eines Tages zu porträtieren. Was diesen Auftrag anbelangt – ich werde ihn ausführen. Wie erlange ich Zutritt?“
„Wie Sie sicher bemerkt haben, besitze ich einen Schlüssel“, sagte sie zögernd. „Ich kann Sie jeden Abend einlassen, doch wir dürfen uns nicht zu lange in diesem Saal aufhalten; die Wächter machen stündlich ihren Rundgang. Wir sollten uns, sagen wir, um kurz nach sechs Uhr hier treffen, und müssen vor sieben Uhr wieder gegangen sein. Sind Sie damit einverstanden?“
„Wie wichtig ist Ihnen all das, Sophie?“
„Lebenswichtig, Monsieur Jacques“, antwortete sie leise.
Vor zwei Tagen hatte Sophies Vater die Angelegenheit auf seinem Krankenbett angesprochen.
„Die Gemälde“, murmelte er. „Von Joséphine. Darum muss sich jemand kümmern. Aber es ist kein Geld übrig …“
Ihr Herz hatte sich krampfhaft zusammengezogen. „Das liegt doch gewiss nicht in deiner Verantwortung, lieber Papa? Darum wird sich Monsieur Denon sicherlich längst gekümmert haben?“ Denon war
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