Historical Collection 04
ihr auf und drohte den Schutzwall einzureißen, hinter dem sie ihre Gefühle in Schach hielt.
Wütend wischte sie sich eine Träne fort. Du darfst jetzt nicht an sie denken! Niemand wird dich hier herausholen. Du musst dir selbst helfen.
Wieso wollte Prinz Khadin ausgerechnet sie? Sie war in der Liebeskunst nicht bewandert, hatte nie eines Mannes zärtliche Hand gespürt. Und dennoch sollte sie eine odalık werden, eine Sklavin, an der er nach Gutdünken seine Lust stillen konnte. Allah , was sollte sie nur tun? Gab es einen Weg, sich diesem Los zu entziehen?
Sie kannte sich im Topkapi-Palast nicht aus. Ihre Familie hatte in schwarzen Zelten gehaust und war an der Küste des Mittelmeers entlanggezogen. Der Gedanke, innerhalb dieser Mauern leben zu müssen, bedrückte sie und weckte den Wunsch zu fliehen in ihr. Aber wie? An jeder Ecke standen kapıcı , die Wachen des Sultans, die nicht zaudern würden, sie am Entkommen zu hindern. Es wäre unklug, sich an einer Flucht zu versuchen, ohne zuvor die Umgebung erkundet zu haben. Ihr Vater hatte ihr beigebracht, eine jede Entscheidung gründlich abzuwägen. Um den besten Weg in die Freiheit ausfindig zu machen, musste sie zunächst mehr über das Leben im Innern des Harems in Erfahrung bringen.
Eine der tscherkessischen Frauen des Harems bedachte Laila mit einem herablassenden Lächeln, das dieser nicht entging. Die Tscherkessin mit der hellen Haut und den tiefgrünen Augen lag lang ausgestreckt auf einem Diwan. Sie trug einen seidenen gömlek , ein dünnes hemdartiges Oberteil, das ihren üppigen Rundungen schmeichelte, und betrachtete Laila mit selbstgefälliger, überheblicher Miene.
Ich bin keine von euch, dachte Laila. Ich werde nie eine von euch sein.
Sie straffte die Schultern und folgte dem Eunuchen einen weiteren Gang entlang und an einer Gruppe Tänzerinnen vorbei, die sich im Kreis drehten, sodass Schleier und Röcke sich an ihre schlanken Beine schmiegten. Der Eunuch führte sie in ein kleineres Gemach tief im Herzen des Harems. „Später wirst du Prinzessin Mihrimah vorgestellt. Sie ist die valide sultan , die Sultansmutter“, eröffnete er ihr. „Ihr sowie den Gemahlinnen des Sultans untersteht der Harem. Vorher jedoch bringe ich dich zu Murana, der vekil usta . Sie wird dich einweisen.“
Murana war eine ältere Dame, deren Umhang von einem leuchtenden Rot war. Anteri und şalvar hingegen, das tunikaartige Hemd und die weit geschnittene Hose, die darunter zum Vorschein kamen, waren weiß. Ihr Haar wurde von einem lose sitzenden Turban verborgen, und Smaragde und Diamanten zierten Hals und Handgelenke der Frau. „Bringst du mir ein neues Mädchen, Hakir?“
„So ist es, oh Ehrenwerte. Sie hat Gnade vor Prinz Khadins Augen gefunden, und er hat angewiesen, sie für ihn herrichten zu lassen.“ Der Eunuch verbeugte sich und ging, sodass Laila allein mit der Dame blieb.
Murana umkreiste Laila bedächtig, und dabei vertieften sich die Falten in ihrem Gesicht. „Fort mit dem Umhang“, befahl sie.
Als Laila den Stoff nur umso fester umklammerte, bedachte Murana sie mit einem kühlen Blick. „Wenn du in diesem deinem neuen Leben bestehen willst, musst du lernen, Befehlen zu gehorchen. Der Prinz gestattet keine Anmaßung, schon gar nicht von einer Sklavin.“ Dann wurde die Miene der Alten weicher. „Ich weiß, dass der Harem dir fremd erscheint, aber du kannst dich glücklich schätzen, hergebracht worden zu sein.“ Behutsam entzog sie Laila den Umhang, musterte sie und schnalzte unwillig mit der Zunge. In scharfem Ton wies sie eine Sklavin an, Laila etwas zu essen zu besorgen.
Nachdem Laila sich gestärkt hatte, befahl Murana ihr aufzustehen. „Komm, ich bringe dich in den hamam , ins Bad.“
Im hamam war es warm, und vom Wasser stieg Dampf auf. Murana gab ihr ein Paar Holzsandalen, die ihre Füße vor dem heißen Marmorboden schützen sollten. Als Laila eintrat, erblickte sie ein Dutzend Frauen, die sich leise unterhielten. Dunkel- wie hellhäutige Schönheiten saßen im Dunst, und ihre üppigen Körper führten Laila ihre diesbezügliche Unzulänglichkeit vor Augen. Ihre eigenen Brüste waren klein, gerade einmal so groß wie Äpfel, und ihre Hüften zu schmal.
Sie setzte sich auf einen Hocker, um ihren schmerzenden Füßen eine Pause zu gönnen. Der Dampf umhüllte sie wohltuend, und allmählich entspannte sie sich. Schweiß trat ihr auf die Haut, und die Tropfen rannen ihr an Hals und Brüsten hinab. Sie fragte sich, ob Khadin sie
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