Historical Collection 04
erreicht hatten, hörte sie laute Schreie. Die Luft draußen war verqualmt, und in der Ferne sah sie einige aus Holz errichtete Wirtschaftsgebäude in Flammen stehen. Sklaven eilten mit Wassereimern über den Hof, um das Feuer zu löschen.
Der oberste Eunuch rannte los. „Komm, wir müssen sicherstellen, dass dem Sultan nichts geschehen ist.“
Laila stolperte, doch er zog sie einfach mit sich. Horden von Menschen versuchten sich ins Freie zu kämpfen, und die kapıcı mühten sich, die Ordnung zu wahren, während der dicke dunkle Rauch allmählich in den Palast quoll. Laila erkannte in dem Chaos ihre Chance zu fliehen, entriss sich dem Eunuchen, der sie am Arm gepackt hatte, und stürmte wieder nach draußen.
Die Schwaden im Hof machten es nicht leicht, irgendetwas zu erkennen. Laila war schon fast im Garten, als jemand ihren Namen rief. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Einer der kapıcı kam auf sie zugelaufen, den Krummsäbel am Gürtel.
Sie stürzte davon, doch er holte sie ein und packte sie bei der Taille. „Wehr dich nicht“, raunte er. Seine leise Stimme ließ sie aufmerken, und nun erkannte sie auch die vertrauten blauen Augen. Khadin hatte sich als Palastwache getarnt, daher war seine untere Gesichtshälfte maskiert.
Laila warf sich ihm in die Arme, dankbar, dass er zu ihr zurückgekehrt war. Bereitwillig folgte sie ihm durch den Garten in den zweiten Hof, wo das Feuer wütete.
Sie rannten nebeneinanderher auf das innere Tor zu und hatten es beinahe erreicht, als sie das Getrappel nahender Pferde vernahmen. Der Brand hatte auf die Stallungen übergegriffen, und die Sklaven versuchten, die Pferde zu retten.
Laila hörte das Wiehern eines Hengstes, der vor der Peitsche scheute. Amir war in den vergangenen Tagen, in denen sie sich mit ihm beschäftigt hatte, zutraulicher geworden, jedoch nach wie vor rebellisch und gefährlich. Wild umtänzelte er den Sklaven, der ihn zu bändigen suchte, und riss sich los, außer sich vor Panik.
Khadin nahm Laila bei der Hand, und gemeinsam liefen sie auf das verängstigte Tier zu. Amir indes jagte auf eine Gruppe Frauen zu, die sich vor dem Harem und ein gutes Stück abseits der Männer zusammendrängten. Die meisten waren gänzlich verschleiert und hatten ihren Leib unter einer ferace verhüllt.
Laila rief nach Amir. Vom Rennen brannten ihr die Beine. Es war, als sehe sie einen Albtraum Wirklichkeit werden, denn das durchgehende Pferd ließ sich nicht aufhalten. Unter den Frauen befand sich auch Prinzessin Mihrimah, die sich offenbar vor Schreck nicht rühren konnte.
Laila stieß die Prinzessin just in dem Moment aus dem Weg, als Amir abrupt vor der Gruppe zum Stehen kam, stieg und mit den Hufen durch die Luft keilte. Er hätte Laila mühelos zerschmettern können, doch sie wich keinen Zoll.
Hab keine Angst, versuchte sie dem Tier zu vermitteln. Lausche meiner Stimme und gehorche.
Sie ließ sich von den Schreien und dem Qualm ringsum nicht beirren; ihre Aufmerksamkeit war ausschließlich auf den Hengst gerichtet. Als er sie erkannte, beruhigte er sich. Laila nahm sich den Schleier vom Gesicht und hielt ihn Amir hin, damit er den vertrauten Geruch wahrnehmen konnte. Sie sprach mit ihm, und auch die bekannte Stimme wirkte besänftigend auf ihn. Laila strich ihm über den empfindsamen Hals, und endlich hatte sie das Tier unter Kontrolle.
Khadin hob sie auf Amirs Rücken, und sie hörte nicht auf, dem Hengst begütigend über die Mähne zu streichen. Amir scheute nicht länger; zu sehr war es ihm in Fleisch und Blut übergegangen, Laila zu gehorchen. Sie mischten sich unter die fliehenden Palastbewohner und kämpften sich langsam zum Haupttor durch.
Eine Reihe kapıcı versperrte den Durchgang, die Hände an den Waffen.
5. KAPITEL
„Zeig dein Gesicht!“, vernahm Khadin eine befehlsgewohnte Stimme hinter sich. Neben seinem Vater stand Prinzessin Mihrimah und klammerte sich verstört an den Sultan.
Khadin zog sich das Tuch vom Gesicht, begegnete dem Blick seines Vaters und sah das Wechselbad der Gefühle darin: zunächst Verärgerung, dann Bedauern und schließlich Traurigkeit.
„Du hast meine Tochter gerettet und dabei dein eigenes Leben riskiert“, wandte sein Vater sich an Laila. „Dafür sollst du deine Freiheit haben.“
Laila, die noch immer auf Amir saß, verneigte sich tief, ein dankbares Lächeln auf dem Gesicht. Khadin schwang sich hinter ihr aufs Pferd und wandte sich seinem Vater zu. Dass dieser Laila die Freiheit geschenkt hatte,
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