Historical Collection 04
sich niemals vorgestellt, dass er einmal so tief sinken könnte, eine junge Dame zu entführen. Es gab viel zu viele, die freiwillig mit ihm gingen, um zu solchen Mitteln zu greifen. Aber er würde tun, was zu tun war – damit sein Bruder endlich in Frieden ruhen konnte.
„Rob“, sagte er. „Ich glaube, das ist der Anfang eines ausgezeichneten Plans.“
4. KAPITEL
E lisabeth schlug die Kapuze zurück, damit sie besser aus dem Fenster der Kutsche sehen konnte. Das Schiff mit Jane und ihrem zukünftigen Ehemann an Bord legte ab und machte sich auf den Weg flussabwärts in Richtung Meer. Wenn ihre Eltern merkten, dass Jane verschwunden war, würden sie sich bereits auf dem Weg nach Frankreich befinden, und die Eheschließung wäre längst vollzogen.
Und sobald Elisabeth selbst sicher zurück bei Hofe war, würde sie von nichts mehr wissen.
„Wir sind dreist getäuscht worden“, flüsterte sie und versuchte dabei, so schockiert und entsetzt wie möglich zu klingen. Dann lachte sie und schickte dem Schiff eine Kusshand hinterher. „Gott schütze dich, meine liebe Nichte. Mögest du dein Glück finden.“ Sie deponierte den kleinen Stapel Papiere, die Jane ihr überlassen hatte, zu ihren Füßen unter dem Sitz. Jane hatte sie gebeten, sie sicher aufzubewahren. Sie hatte sie von Sir Thomas’ Schreibtisch genommen, als sie mit ihren Eltern zu der schicksalhaften Verlobungsfeier in seinem Hause gewesen war. Jetzt war Elisabeth zu müde, um einen Blick auf die Papiere zu werfen.
Sie lehnte sich in die weichen Sitzpolster zurück und schloss die Augen. In den letzten Tagen war sie fieberhaft tätig gewesen. Sie hatte Pläne geschmiedet und Verabredungen getroffen, dabei war sie bis eben nicht sicher gewesen, dass ihre Scharade funktionieren würde. Jetzt, da Jane in Sicherheit war, fühlte Elisabeth sich sehr erschöpft.
Draußen war es inzwischen dunkle Nacht, höchste Zeit also, dass sie sich auf den Heimweg machte. Es würde so still zu Hause sein, wenn Jane nicht mehr bei ihr war. Ihr ganzes Leben würde jetzt sehr ruhig verlaufen. In Ruhe und Frieden und – Langeweile?
Plötzlich hörte sie einen lauten Schlag über sich, die Kutsche geriet ins Wanken. Erschrocken öffnete Elisabeth das Fenster und lugte nach draußen.
„Ist alles in Ordnung?“, rief sie. Sie konnte in der Dunkelheit eben noch die Silhouette des dick eingemummten Kutschers erkennen.
„Es ist alles in Ordnung, Madam“, sagte er mit rauer Stimme.
„Dann fahren wir jetzt nach Hause“, sagte sie. Sie lehnte sich wieder zurück, und die Kutsche setzte sich langsam in Bewegung.
Das gleichmäßige Schaukeln machte Elisabeth schläfrig – nach einiger Zeit wurde sie jedoch plötzlich hellwach und versuchte zu erkennen, wie weit sie gekommen waren. Alles, was sie draußen erkennen konnte, waren jedoch die Umrisse von Bäumen im Mondlicht. Sie sah keinen Menschen, keine Fackeln und keine Häuser.
Sie waren nicht mehr in London.
Eine Welle von Panik überkam Elisabeth. Sie wurde entführt! Sie pochte an die Tür und rief: „Halten Sie sofort an! Drehen Sie um!“
Die Kutsche beschleunigte jedoch das Tempo und holperte so heftig über die unebene Landstraße, dass Elisabeth aus ihrem Sitz geschleudert wurde. Sie schrie aus voller Kraft und trat gegen die Tür, aber sie war gefangen. Selbst wenn sie es schaffte, die Tür zu öffnen, würde sie sich bei dieser rasanten Fahrt in den sicheren Tod stürzen.
Plötzlich überkam sie Furcht davor, dass das immer noch besser sein könnte, als das, was sie am Ende der Reise erwartete.
„Wie ist das möglich?“, seufzte sie, während sie sich zurück in den Sitz hievte. Sie hatte die schrecklichen Geschichten von Entführungen und Vergewaltigungen gehört. Aber normalerweise traf es junge Erbinnen, die dazu gezwungen werden sollten, ihre Entführer zu heiraten, sodass diese an ihr Vermögen herankamen.
Sie war doch keine Jungfrau mit großem Familienvermögen.
Vergeblich schrie sie, bis sie keine Stimme mehr hatte. Schließlich kam die Kutsche auf einer Lichtung tief im Wald zum Stehen. Die plötzliche Stille war beinahe noch unheimlicher als die rasante Fahrt. Was mochte sie hier erwarten?
Elisabeth zog ihren Umhang fest um sich und rückte so weit zurück in die Sitzpolster, wie sie konnte. Sie hatte sich nie für feige gehalten; um in der gnadenlosen höfischen Gesellschaft voranzukommen, musste man stark sein. Doch jetzt zitterte sie wie Espenlaub.
Jäh wurde die Tür der Kutsche
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