Historical Collection Band 01
Schönes gesehen“, sagte er und sah sie an.
Miku zwinkerte verblüfft, Röte kroch ihr in die elfenbeinfarbenen Wangen, und sichtlich verwirrt schob sie eine Strähne ihres lackschwarzen Haars zurück. Ihr verspieltes Geplänkel hatte den Samurai durcheinanderbringen sollen, und nun schien es, als sei ihm genau dies mit ihr gelungen.
„Eure Kalligrafie, Miku- san “, setzte er hinzu. „Sie ist wunderschön.“
Ihre Augen weiteten sich vor Entzücken, und für einen Moment vergaß sie, dass sie seine Absichten vereiteln wollte. „Du weißt Poesie zu würdigen?“
„Man sagt, es sei die sinnlichste unter den Künsten und dass sie die Seele des Dichters enthüllt, damit andere sich an ihr erfreuen.“
„Dichtest du auch selbst?“ Es erstaunte Miku, wie genau die Worte des Samurai ihre eigenen tiefsten Empfindungen über Poesie wiedergaben.
Takeshi stellte verwundert fest, wie lebhaft die junge Frau auf einmal geworden war. Erwartungsvoll vorgebeugt, die Lippen leicht geöffnet, sah sie ihn an.
„Ich bin kein Dichter. Aber ich liebe es zuzuhören, wenn Gedichte vorgetragen werden. Und ich sehe mir die Schriftrollen an, wenn ich den Tempel besuche. Ich kann nicht schreiben und lesen“, gestand er und fragte sich, was in Mikus Miene ihn bewogen haben mochte, dieses Geheimnis mit ihr zu teilen.
Natürlich würde ihr nun klar werden, dass er nicht viel mehr als ein bewaffneter Gemeiner war. Zwar gab es in den wohlhabenden städtischen Zentren auch Krieger, die einen bedeutenden Stammbaum und die entsprechende Bildung vorweisen konnten, doch er war, wie die meisten Samurai auf dem Lande, nur ein einfacher Söldner.
Wie die anderen Männer in der Truppe des Fürsten, von denen er die meisten seit seiner Kindheit kannte, war er der Sohn eines einfachen Bauern. Takeshi hatte sich für ein Leben als Soldat entschieden, statt in die väterlichen Fußstapfen zu treten und ebenfalls Bauer zu werden. So konnte er seine Familie besser vor marodierenden Banditen schützen, die Häuser überfielen und Felder zerstörten. Ohnehin hatte seine Loyalität von Anfang an mehr seiner Familie und der Dorfgemeinschaft gegolten als dem Fürsten.
Doch ohne das Wohlwollen des Fürsten wäre Takeshi nie in den Genuss der Macht und der Privilegien gekommen, derer er sich gegenwärtig erfreute. Und das fürstliche Wohlwollen hing davon ab, dass er jeden Befehl des Herrschers rasch und ohne zu fragen ausführte, gleichgültig, was er selbst davon hielt.
Alles in ihm sträubte sich dagegen, doch er hatte immer wieder Wege gefunden, seinen Ehrgeiz und seinen Stolz als Krieger im Zaum zu halten – bislang jedenfalls. Zu gegebener Zeit, womöglich schon bald, würde er etwas tun müssen, um als die Autorität, die er für die anderen Samurai darstellte, aus dem Schatten zu treten.
Im Gegensatz zu ihrem Onkel schien die Nichte aufrichtig interessiert an dem, was Takeshi zu sagen hatte. Es erstaunte ihn, dass der Gedanke, sie könne enttäuscht sein über seine Ungebildetheit, ihm einen solchen Stich versetzte.
Nicht dass Mikus Meinung wichtig gewesen wäre. Schon gar nicht bei den Plänen, die ihr Onkel für sie hatte. Aber nicht einmal die kalte Logik dieser Überlegung konnte das Feuer eindämmen, das die sinnlichen Konturen ihres Körpers und ihre atemlos geöffneten Lippen in ihm entzündet hatten. Oder den merkwürdigen Wunsch vertreiben, sich weiter mit ihr zu unterhalten, um sie besser kennenzulernen und mehr über die Gedichte in Erfahrung zu bringen, die solche Ergriffenheit in ihr hervorriefen. Und all das, obwohl er wusste, dass er besser Distanz zu ihr wahrte.
„Es ist nicht von Belang.“ Miku zuckte mit den Schultern, als habe sein Geständnis sie weder überrascht noch bestürzt. „Beim kaiawase muss man nicht lesen können. Nur Bilder erinnern.“
Sie nahm die Muschelhälften aus der Dose und arrangierte sie mit dem Gesicht nach unten, sodass die Miniaturgemälde in der Innenwölbung nicht sichtbar waren. Es erforderte eine genaue Beobachtungsgabe und gute Merkfähigkeiten, die zueinandergehörigen Schalen anhand der Rillen und Linien auf der Oberfläche zu finden. Dass man das richtige Pärchen hatte, bestätigte sich, wenn die winzigen Gemälde im Innern identisch waren.
Miku wählte eine Schale, begutachtete sie ausführlich, ohne sie umzudrehen. Dann ließ sie ihre Fingerspitzen über die anderen Schalen gleiten, nahm schließlich eine in die Hand und legte sie mit der zuvor gewählten zusammen. Die beiden
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