Historical Collection Band 01
meinen Räumlichkeiten aufhältst?“
Der Samurai schwieg, und sie musterte sein pechschwarzes Haar, das er aus dem kantigen bronzefarbenen Gesicht zurückgekämmt und zu dem Knoten geschlungen hatte, wie er bei den Angehörigen der Kriegerkaste üblich war. Sie kannte ihn, der grüblerische Blick, mit dem er sie betrachtete, war ihr schon bei früheren Gelegenheiten aufgefallen, wenn sich ihre Wege irgendwo auf dem Anwesen zufällig gekreuzt hatten. Er war einer der zuverlässigsten Gefolgsleute ihres Onkels und erschien ihr um einiges älter als die zwanzig, die sie selbst war, wenn auch höchstens zehn Jahre.
Sie sah ihm ins Gesicht. Ein sauber geschnittener Bart umrahmte seinen sanft geschwungenen Mund. Dennoch waren seine nächsten Worte schärfer als das Schwert, das er trug. „Euer Onkel wünscht, dass Ihr den Euch gebührenden Rang nicht vergesst.“
„Den mir gebührenden Rang?“ Furchtlos trat Miku einen Schritt vor. „Meinen Rang bestimme ich selbst.“
Die Sicherheit, mit der sie diese Überzeugung vertrat, hatte in den vergangenen Monaten für zunehmende Reibungen zwischen ihrem Onkel und ihr gesorgt. Mehr und mehr war ihm ihre Dichtung zu einem Dorn im Auge geworden, insbesondere der erotische Ton. Und Miku, statt ihre Begabung zu unterdrücken, kümmerte sich immer weniger darum, ob ihr Onkel ihre Verse guthieß – geschweige denn ihre Ausflüge in die Landschaft außerhalb der Mauern, die das Anwesen umgaben. Wie sonst sollte sie frei sein können von seinen erstickenden Einschränkungen, und sei es nur für ein paar Stunden?
Vor sieben Jahren hatte ihr Onkel die Vormundschaft über sie als Teil seiner Familienpflicht, und vielleicht sogar aus Liebe, angenommen, wie es sich gehörte. Doch in den Monaten nach dem Tod ihrer Eltern war er immer unnachsichtiger geworden. Inzwischen wagte sie kaum noch, einen Blick durch den Vorhangspalt zu werfen, wenn sie auf einem der Ochsenkarren zum Tempel fuhr – ihren einzigen erlaubten Ausflügen –, aus Furcht vor seinem missbilligenden Stirnrunzeln. Nicht dass der Anblick der halb verhungerten, zerlumpten Leibeigenen am Straßenrand andere Empfindungen als Mitleid in ihr hervorrief, zumal in dem Wissen, dass sie nichts tun konnte, um das Elend dieser Menschen zu lindern.
Das Ringen zwischen ihrem Willen und dem ihres Onkels war an diesem Morgen in eine neue Phase getreten, als sie dabei erwischt worden war, wie sie in den heißen Quellen an einem nahe gelegenen Berghang gebadet hatte. Der alte Mann war vor Wut explodiert und hatte ihr untersagt, ihre Räumlichkeiten zu verlassen, während er eilige Vorbereitungen für den Besuch eines alten Freundes traf; jemand, von dem Miku annahm, dass er versuchen würde, sie davon zu überzeugen, wie unpassend ihre erotische Dichtung und ihr unbeherrschtes Verhalten waren.
Aber weshalb sollte sie eine Sonderbewachung brauchen, bis der aufgeblasene Adlige eintraf, der ihr vermutlich Vorträge über das angemessene Benehmen einer jungen Dame von Stand halten wollte? Ein unbestimmter Verdacht kroch in ihr hoch, während sie ihren Gefängniswärter trotzig anstarrte.
Der Samurai indes musterte seine Schutzbefohlene ausgiebig, nahm den Anblick ihres offenen langen, glänzend schwarzen Haars, ihrer wachen dunklen Augen, in denen Neugier und Erschöpfung zu lesen stand, in sich auf. Sie hatte keinen Reispuder aufgelegt wie so viele adlige Damen, und ihre Brauen waren nicht nachgezogen und gezupft, sondern folgten ihrem natürlichen Bogen. Sie biss sich ungeduldig auf die ungeschminkte volle Unterlippe, und er bemerkte, dass sie auch ihre Zähne nicht schwärzte, wie es unter Aristokraten allgemein Mode war.
Diese junge Frau gehörte entschieden nicht zu den verwöhnten Geschöpfen ihres Standes, wie er zunächst vermutet hatte. Sie schien eine rebellische, freigeistige Natur zu sein, und er begriff, weshalb sein Fürst ihm befohlen hatte, sie gut zu bewachen. Er würde Vorsicht walten lassen müssen, um ihr nichts zu enthüllen, und er konnte schon jetzt einschätzen, dass es schwierig sein würde, irgendetwas vor ihr zu verbergen. Geschweige denn sich den Blick auf den halb durchsichtigen kosode , unter dem sich ihr Körper abzeichnete, zu verbieten.
„Aus welchem Grund hat mein Onkel diese besondere Bewachung für mich angeordnet?“, wollte sie wissen.
„Ist nicht die schützende Liebe eines Onkels für seine Nichte Erklärung genug?“, fragte er zurück.
„Das ist sie. Außer es gäbe verborgene
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