Historical Collection Band 5
als eine Musikantin und Dienerin reicher Herren sah.
„Dann haben wir heute beide einen Grund zum Feiern“, sagte er.
„Ihr scheint gut gelaunt zu sein.“
Er konnte sich sichtlich nicht mehr zurückhalten. „Heute habe ich meine Schriftstücke dem obersten Prüfer vorgelegt. Er hat mich eingeladen, mit ihm Tee zu trinken, und wir hatten eine gute Diskussion.“
„Ihr habt Euren Aufsatz heute schon präsentiert?“
„Immerhin beginnen morgen die Beamtenprüfungen.“
Das hatte sie völlig vergessen. Sie schaute hinüber zu der Tasche mit dem wichtigen Aufsatz darin, den sie als Pfand zurückbehalten hatte. „Was für Schwierigkeiten ich Euch bereitet haben muss.“
Er zuckte die Achseln, denn offensichtlich war er in zu guter Stimmung, um mit ihr zu streiten. „Ich habe jedes Wort neu geschrieben, und jedes neue Wort war besser und kühner als zuvor. Irgendetwas muss mich inspiriert haben.“ Er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu, und sie errötete.
„Also braucht Ihr eigentlich die Tasche gar nicht mehr“, sagte sie.
„Aber selbstverständlich musste ich sie zurückhaben. Wie hätte ich Euch sonst wiedersehen können?“
Er war ihr gar nicht böse. Bei jeder höhnischen und angriffslustigen Bemerkung, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte, hatte er eingelenkt und gelächelt. Sie konnte ihn nicht verletzen oder in die Enge treiben, und das war für sie schwer zu verstehen. Es war fast erschreckend, wie verschieden sie waren. Cheng war großzügig, fleißig und aufrichtig, er war gewiss zu Höherem bestimmt.
„Dann alles Gute für morgen, Luo Cheng“, sagte sie. „Ich bin sicher, Ihr werdet es schaffen.“
„Wartet.“
Er stellte sich ihr mit einer geschmeidigen Bewegung in den Weg, als sie sich zur Tür wandte. Das war allerdings nicht sehr schwierig in dem kleinen Zimmer.
„Ich habe Wein gekauft“, sagte er. „Um zu feiern. Xifeng-Wein. Ich musste mit dem Händler fast eine Stunde feilschen, darum müsst Ihr ihn jetzt mit mir trinken.“
Sie lachte. Schon lange hatte sie nicht mehr gelacht. Aber wovor sollte sie denn jetzt noch Angst haben? Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie selbst entscheiden, was sie als Nächstes tun wollte. Cheng sah sie aufmerksam an. Sie streckte eine Hand aus und ließ sie auf ihm liegen. Mit den Fingerspitzen streichelte sie seine Brust.
Wie alle anderen Scholaren, die in die Stadt strömten und sie nach einiger Zeit wieder verließen, würde auch Cheng bald aus der sich ständig verändernden Welt des Norddistrikts fortgehen. Dies war die Welt, die auch sie bald hinter sich lassen wollte. Nur für eine kurze Zeit wanderten sie auf demselben Weg. Sie wollte nicht alt und grau werden und sich für immer an eine verpasste Gelegenheit erinnern.
Sie hakte die Fingerspitzen vorne in Chengs Tunika ein und zog ihn näher an sich heran. Anfangs hatte sie ihn überhaupt nicht attraktiv gefunden. Seine Gesichtszüge waren kantig und rau, aber in seinem Blick erkannte sie tiefen Humor und große Ehrlichkeit, wovon sie sich unwiderstehlich angezogen fühlte.
„Wie viel habt Ihr für den Wein bezahlt?“, fragte sie.
Chengs Mund war dem ihren ganz nah. Sein warmer Atem streichelte ihre Lippen beim Sprechen. „Drei Kupfermünzen. Alles, was ich noch hatte.“
Sein Blick wirkte jetzt genauso dunkel und hungrig wie am Abend zuvor. Der gleiche Hunger hatte auch sie den ganzen Tag gequält.
„Dann habt Ihr ein gutes Geschäft gemacht“, murmelte sie.
Cheng nahm ihren Mund in Besitz. Sie ließ ihn gewähren.
Xue Lin hatte bei der Beschreibung der Anzeichen von Erregung in ihrem Kopfkissenbuch einen Fehler gemacht. Alle traten gleichzeitig auf. Herzklopfen, Schweißperlen, ausgedörrte Kehle. Hitze, so viel Hitze, innerlich wie äußerlich.
Der Raum verschwamm wie in einem Lichtwirbel vor ihren Augen, als ihre Füße den Boden verließen, weil Cheng sie in seine Arme gehoben hatte. Er setzte sie aufs Bett, aber er hielt seine Arme weiterhin um sie gelegt. Sie brauchte gar keinen Wein, denn sie fühlte sich auch jetzt schon wie berauscht.
„Jetzt könnte ich für Euch Gedichte rezitieren“, sagte Cheng.
„Warum?“
„Um Euch zu verführen.“
Er nahm ihr Ohrläppchen zwischen die Zähne und knabberte ein wenig daran. Ein Schauer überlief sie, und sie fühlte ein Ziehen im Herzen.
„Später“, meinte sie.
Der tiefe Klang seines leisen Lachens vibrierte in ihrem Innersten. Heute konnten sie noch Gleichgestellte sein, wenigstens für eine
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