Historical Exclusiv 45
…
Ein Arm umfing sie von hinten und schleuderte sie auf die Eichenplanken. Ein gequälter Schrei entrang sich ihrer Kehle, als ihr Rücken mit voller Wucht gegen ein Ruder prallte.
Der markerschütternde Schrei schnitt Rorik wie ein Messer ins Herz. Bereits auf halbem Weg zum Bug, stürmte er mit gewaltigen Sätzen weiter und brüllte wie ein wütender Stier, schlug seinem Bruder die Hand weg, der im Begriff war, ihr das Wams herunterzureißen.
„Du sollst sie aufhalten, nicht umbringen!“
Othar hob den Kopf, Wut und Erstaunen machten ihn trotzig. „Was ist in dich gefahren, Rorik? Sie ist nur eine Sklavin.“
Rorik beugte sich über seine Gefangene, die matt zu ihm aufblickte. Der Schmerz trübte das goldene Feuer ihrer Augen. Behutsam zog er sie an den Armen auf die Füße.
„Sie gehört mir, Othar“, sagte er eisig, wohl wissend, dass sein Bruder diese Worte als Kampfansage verstand.
Othar war nicht der Einzige. Ein bedrohliches Knurren ging durch die Männer wie eine Sturmwarnung.
Jeder Muskel in ihm spannte sich an. Verdammt, wieso hatte sie das Bewusstsein erlangt, bevor er seine Männer warnen konnte? Wusste sie nicht, dass die Kerle über sie hergefallen wären wie eine hungrige Wolfsmeute, wäre er nicht rechtzeitig bei ihr gewesen? „Kleine Närrin!“, knurrte er auf Englisch. „Was ist dir lieber? Ertrinken oder von meinen Männern in Stücke gerissen werden?“
„Ich ertrinke lieber, als von dir und deiner Satansbrut versklavt zu werden“, fauchte Yvaine und versuchte, sich seinem Griff zu entwinden. Doch der brennende Schmerz in ihrem Rücken drohte ihr den Magen umzudrehen. Die gleißende Bewegung der Wellenkämme machte sie schwindelig. Sie schwankte und kniff die Augen zusammen.
Der Griff des Nordmannes festigte sich, bis sie ihren Pulsschlag unter seinen Fingern spürte. Heilige Mutter Gottes, der Riese war stark. Er könnte ihr die Knochen mit einer Hand brechen. Aber … er tat ihr nicht weh. Seine Hände fühlten sich beschützend an … und fest. Als ahne er, dass sie sich nicht auf den Beinen halten konnte, dass sie ihre ganze Willenskraft aufwenden musste, um bei Bewusstsein zu bleiben.
Sie hob die Lider und blickte in Augen wie Eiskristalle.
„Du kannst also sprechen“, stellte er gelassen fest. „Wie heißt du?“
Das Glitzern der Wellen spiegelte sich in seinen grauen Augen. Yvaine biss die Zähne aufeinander. Sollte sie in diesen eisigen Tiefen ertrinken, würde sie das mit ungebrochenem Stolz tun.
„Ich bin Yvaine of Selsey, eine Cousine zweiten Grades von König Edward“, erklärte sie mit klarer Stimme. Und dann brach sie zusammen.
Rorik fing sie auf, bevor ihre Knie die Planken berührten. Er zog sie an sich, blickte gebannt auf ihre dichten seidigen Wimpern, den sanften Schwung ihrer Lippen und spürte erneut ein befremdliches Zerren tief in seinem Innern. Und ein Wissen. Eine unwiderrufliche Gewissheit.
Sie gehörte ihm! Dieses verletzte, stolze und todesmutige Mädchen gehörte ihm.
Einen weiteren Gedanken ließ er nicht zu, drängte jede andere Empfindung zurück. Gefährliche Empfindungen, die eine Stelle in ihm berührten, die er sehr lange verschlossen gehalten hatte. Im Augenblick aber war er gezwungen, sich mit anderen Gefahren zu beschäftigen.
Bedächtig drehte er sich zu seinen Männern um. Einige hatten die Ruder verlassen, traten lauernd vor wie Wölfe, die sich ihrer geschwächten Beute näherten.
Rorik fixierte seine Leute unverwandt über die reglose Frauengestalt in seinen Armen hinweg. Die Männer traten von einem Fuß auf den andern, wichen zurück. Unbehagen und argwöhnische Unterwerfung ersetzten die lüsterne Gier in ihren Blicken. Manche grinsten einfältig, beinahe schuldbewusst, ein seltsam unpassender Ausdruck in den rauen wettergegerbten Gesichtern. Schweigend blickte Rorik seinen Männern, einem nach dem anderen, bohrend in die Augen.
So lange, bis alle sich wieder setzten und die Ruder aufnahmen.
Mit Ausnahme von Othar – und einem anderen.
„Nicht so hastig, Rorik. Was willst du damit sagen, sie gehört dir? Wir teilen die Beute unter uns auf.“
„Wir teilen uns keine Frauen, Othar. Alle Frauen auf diesem Schiff stehen unter meinem Schutz. Keiner wird Gewalt angetan. Keine wird zu etwas gezwungen oder verkauft, wenn ich nicht mein Einverständnis zu dem Handel gebe.“
Othars hellblaue Augen glänzten kalt. Er begann auf den Fersen zu wippen, schien aber unschlüssig zu sein. Ein rotbärtiger Wikinger trat
Weitere Kostenlose Bücher