Historical Exclusiv 45
Racheschwur gegen den König der Angelsachsen, der vor acht Jahren über dem Blut des Verrates geleistet worden war. Ein Schwur, der den Kern der nordischen Ehre traf. Bisher hatte Rorik nur gegen Krieger gekämpft, die ihm im Kampf ebenbürtig waren. Aber Thorolf musste kein Meister im logischen Denken sein, um zu erkennen, dass die Lady of Selsey ein Unterpfand darstellte, mit dem der Freund seinen letzten Vergeltungsschlag gegen den König persönlich führen konnte. Selbst wenn es bedeutete, mit diesem Schlag gegen seine Natur zu handeln.
Und wenn das zutraf, zog Thorolf die grimmige Schlussfolgerung, war kein Wahrsager nötig, um gefährliche Untiefen zu sehen.
Dabei dachte er nicht an die Sandbank, auf die Roriks verzogener und verweichlichter Bruder vermutlich zusteuerte.
Yvaine trieb in einem zeitlosen Nebel aus Halbdunkel und Schmerz. Gelegentlich spürte sie, wie jemand eine übel riechende Salbe auf ihren zerschundenen Rücken strich. Ein anderes Mal wurde ihr ein Becher an die Lippen gehalten, aber sie brachte nicht die Kraft auf, daran zu nippen. Sie drehte den Kopf zur Seite und die Hand verschwand.
Später hielt eine große Hand den Becher an ihre Lippen, zwang sie, den Mund zu öffnen, und kippte ihr Flüssigkeit in die Kehle. Danach trank sie jedes Mal, wenn der Becher ihre Lippen berührte. Meist enthielt er Wasser. Manchmal war die Flüssigkeit heiß und würzig. Fleischbrühe, dachte sie, bevor sie wieder in barmherziges Dunkel sank.
Einmal erwachte sie und spürte, wie sie hochgehoben und sanft auf ein dickes Bärenfell gelegt wurde. Seufzend schmiegte sie die Wange an die wohlige Weichheit. Eine Hand strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sie gehörte nicht Anna, deren Hand klein war, ihre Berührung zart und flink. Dies war die große Hand, die sie gezwungen hatte, zu trinken. Sie versteifte sich in einem Anflug von Angst, wurde von einer murmelnden Stimme besänftigt und ließ sich wieder im Nebel treiben.
Und dann, Ewigkeiten später, schlug sie die Augen auf und fühlte sich gestärkt. Die brennenden Schmerzen im Rücken waren nur noch dumpf pochend zu spüren. Wenn sie sich bewegte, würde sie nicht in Ohnmacht sinken. Sie konnte wieder denken.
Doch mit dem klaren Bewusstsein kehrte das Grauen zurück, legte sich wie ein schwerer Stein auf ihre Brust und machte ihr das Atmen schwer. Ihr Herzschlag setzte aus, während ihre Gliedmaßen schwer wie Blei waren. Einen Augenblick, nur so lange, bis ihr Herz wieder zu schlagen begann, wünschte sie, für alle Ewigkeit bewusstlos zu bleiben. Sie biss die Zähne aufeinander, schluckte gegen die eisigen Finger an, die ihr die Kehle zudrückten, und richtete sich mühsam zum Sitzen auf. Später, wenn sie wusste, welches Schicksal ihr bevorstand, würde sie sich mit dem Grauen befassen. Sie war nicht allein.
„Allen Heiligen sei Dank. Ihr seid wieder bei uns, Mylady.“ Anna, deren Augen vor Erleichterung leuchteten, kroch zu ihr, hielt ihr den Becher hin, den Yvaine nahm.
„Wo sind wir?“, fragte sie mit heiserer Stimme, nachdem sie getrunken hatte.
„Wir fahren an der Küste des Danelag in nördliche Richtung“, erklärte Anna. „Die Nordmänner ziehen das Boot jeden Abend an Land, um warmes Essen zuzubereiten. Meist Fleischbrühe und Haferbrei. Ein paar Männer verbringen die Nacht an Land. Wir Frauen müssen auf dem Schiff bleiben. Nur frühmorgens und abends dürfen wir an Land, um unsere Notdurft zu verrichten.“
„Ja“, warf Britta ein und streichelte Eldith übers Haar. „Wir müssen wie die Tiere in diesem engen Verschlag hausen.“
„Wie Gefangene“, murmelte Yvaine. Und als das Grauen erneut in ihr aufzusteigen begann, nagte etwas an ihr in einem versteckten Winkel ihres Kopfes. Ein unablässiges Geräusch, doch nun war es verstummt. Angestrengt spähte sie in die dunkelste Ecke des Verschlags, wo der Bug spitz zulief. Plötzlich wusste sie, was die Stille bedeutete.
„Die andere Frau? Wo ist sie?“
Ihre Leidensgefährtinnen tauschten traurige Blicke.
„Die Arme“, antwortete Anna leise. „Wir wussten nichts von ihr, Lady. Sie wollte nicht sprechen, murmelte nur immerfort die Gebete des Rosenkranzes. Letzte Nacht verließ sie das Zelt und stürzte sich in die See. Die Männer an Bord schliefen. Die Wachen waren am Küstenstreifen postiert.“ Seufzend schüttelte sie den Kopf. „Bei Sonnenaufgang wurde ihre Leiche an Land gespült. Wenigstens hat man sie begraben.“
„Gott sei ihrer Seele gnädig“,
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