Historical Exclusiv 45
flüsterte Yvaine bang und schlug das Kreuzzeichen.
„Es ist eine Todsünde, sich das Leben zu nehmen. Aber sie wollte nur den Heiden entfliehen. Sie ist den Tod einer Märtyrerin gestorben, könnte man sagen.“
„Aber sie wurde nicht belästigt“, fügte Britta eifrig hinzu. „Keine von uns.“ Sie überlegte einen Moment. „Allerdings würden ein paar dieser Barbaren uns gern wie Dirnen behandeln“, fuhr sie fort. „Besonders der Flegel mit den kalten Augen, dieser Othar und seine Freunde. Heilige Mutter Gottes, das sind zwei Rüpel. Schädelspalter und Bierschlucker. Wohlverdiente Beinamen, schätze ich. Vor diesem Rorik haben sie aber einen Heidenrespekt.“
„Rorik?“
„Der Anführer. Der Euch entführt hat.“ Britta beäugte sie neugierig. „Erinnert Ihr Euch nicht an ihn, Lady?“
Ein junger Krieger. Hoch gewachsen. Kraftvoll. Blitzende Augen, die sie beobachteten. Eine große Hand …
Nein! Sie wollte sich nicht erinnern. Die Begegnung in Ceawlins Haus war Teil ihres Albtraums.
„Nein“, flüsterte sie und nahm wahr, dass auch Annas Blick, obwohl sie geschwiegen hatte, neugierig geworden war.
Sie wandte den Kopf. Die Klappe des Ledervorhangs war zurückgeschlagen, um Licht einzulassen. Warmer Sonnenschein lockte, eine willkommene Ablenkung.
„Ist uns erlaubt, frische Luft zu schnappen?“, fragte sie, während sie es mit einem Mal kaum erwarten konnte, dem engen stickigen Zeltverschlag zu entfliehen. Sie wollte ins Freie, musste denken. Von den Neuigkeiten, die sie soeben erfahren hatte, weckte eine ihr besonderes Interesse. Wenn die Nordmänner das Schiff nachts an Land zogen, bot sich vielleicht eine Fluchtmöglichkeit.
„Ich weiß nicht recht, meist holt Thorolf uns abends“, antwortete Anna zweifelnd. Doch dann half sie Yvaine beim Aufstehen. „Aber was ist schon dabei? Wir bleiben beim Zelt und halten uns von den Männern an den Rudern fern. Ich begleite Euch, falls Ihr einen Schwächeanfall bekommt.“
Yvaine wollte ihr mit einem Lächeln versichern, dass sie sich wesentlich besser fühlte, als sie ins Freie traten.
Die Begegnung mit den neugierigen lüsternen Blicken aus bärtigen Männergesichtern traf sie mit der Wucht einer Keule. Wie gelähmt blieb sie stehen, zu keinem anderen Gedanken fähig als zur Frage, wieso die Männer nicht ruderten.
Das Schwanken der Bodenplanken brachte sie beinahe aus dem Gleichgewicht, und dann erst kam die Antwort. Das Schiff hatte Segel gesetzt und pflügte in voller Fahrt durch die Wellen, so schnell, dass sie erschrocken Halt am Bootsrand suchte. Mit einem flüchtigen Blick vergewisserte sie sich, dass keiner der Männer sich bedrohlich näherte. Die meisten hockten auf Holzkisten entlang der Bootswände. Zu ihrer unendlichen Erleichterung schienen die meisten sich an ihr satt gesehen zu haben, wandten sich wieder ihrer Arbeit an den Geräten zu und warfen gelegentlich einen Blick hinauf in die Wanten, an denen das Segel befestigt war.
„Großer Gott“, flüsterte sie bang. „So viele Männer. Kaum zu zählen.“
Anna rang sich ein Lächeln ab. „Ja, anfangs war ich auch erschrocken. Es sind vierzig, und die meisten beachten uns nicht.“
Die Gelegenheit wäre günstig, über Bord zu springen, wenn die Männer es am wenigsten erwarteten, schoss es Yvaine durch den Sinn.
Sie holte stockend Atem, zwang sich, den Blick über die Köpfe der Männer hinweg aufs Wasser zu richten, woraufhin ihr ganzer Mut schwand.
Ein Sprung ins Wasser wäre sinnlos. Vor und hinter dem Langboot erstreckte sich die offene See bis zum Horizont, dunkel, unergründlich, in ständig wogender Bewegung wie von einer unsichtbaren Macht getrieben.
Und an der dem Land zugewandten Seite befand sich ein einsamer, windgepeitschter Küstenstreifen, die Hügel der Sanddünen mit langen Grasbüscheln bewachsen, die der Wind zauste. Kein Anzeichen einer menschlichen Siedlung. Kein Laut, nur der Schrei eines Habichts, der über den Dünen kreiste, auf der Suche nach Beute.
Mutlos und enttäuscht ließ sie den Blick den unwirtlichen Küstenstreifen entlang wandern. Dann aber spürte sie die warme Sonne im Gesicht. Die Luft roch frisch und würzig nach Seetang und Salz. Der Ruf des Greifvogels rührte etwas tief in ihr. Sie lebte. Und wenn sie den Frauen glauben durfte, war keiner von ihnen Gewalt angetan worden. Man hatte sogar ihre Wunden versorgt. Ein Gefühl der Dankbarkeit stieg in ihr auf und mit ihm ein Hauch von Zuversicht.
„Womit hast du mir den Rücken
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