Historical Exclusiv 45
spürte große Erleichterung darüber, dass sein ungehorsamer Knappe sein Ungestüm nicht mit dem Leben bezahlen musste – wenigstens nicht dieses Mal. Erst jetzt beachtete er ihre seltsame Erklärung.
„Warum eine Entschuldigung?“
Gabrielle sah ihn mit solch großen Augen an, dass er dachte, er würde darin versinken. „Er war die ganze Zeit davon überzeugt, dass Ihr kommen würdet.“
Was sie damit ausdrücken wollte, war klar, aber Yves wollte es von ihr hören, auch wenn er wusste, dass es schmerzlich sein würde. „Und Ihr wart es nicht?“
Sie schüttelte den Kopf. „Es schien nicht vernünftig.“
„Ich gab Euch mein Wort“, erinnerte Yves sie streng. „Und das, Madame , ist keine Kleinigkeit.“
„Ich weiß, doch die Umstände waren nicht alltäglich. Die Chancen für Euch standen so schlecht, und Ihr hattet bereits versucht …“
„Für eine Frau, die Gott vertraut, Madame“, unterbrach er sie entschlossen, „schenkt Ihr mir überraschend wenig Vertrauen.“
Die Edelfrau starrte ihn an, offensichtlich fehlten ihr die Worte. Sie wollte etwas sagen, aber tat es nicht. Stattdessen schluckte sie schwer. „Ich konnte es nicht“, begann sie zaghaft, dann hielt sie inne. Sie runzelte die Stirn und versuchte es erneut. „Ich kannte nie zuvor einen Mann, der sein eigenes Wohlergehen zurückstellt.“
„Es ist keine Angelegenheit von Wohlergehen, vielmehr bedeutet es, einen Schwur zu halten, den man gab“, antwortete der Chevalier, der sich seine Verwirrung nicht völlig erklären konnte. Zuvor hatten bereits andere kein Vertrauen in ihn gehegt, doch nie war er davon so betroffen gewesen wie in diesem Moment.
„Nun weiß ich das“, murmelte Gabrielle und verzog ihren Mund zu einem verlegenen Lächeln. „Vielleicht muss ich auch Euch um Verzeihung bitten“, flüsterte sie.
Zu Yves’ Überraschung hob sie sich auf die Zehen und gab ihm einen züchtigen Kuss auf die Wange. Für einen flüchtigen Augenblick strichen ihre Fingerspitzen über sein Gesicht, und er glaubte, sein Herz müsse zerspringen. Er verzehrte sich danach, sie gegen seine Brust zu drücken und zu küssen, aber sie schien zu verletzbar, sodass er Angst hatte, sie zu erschrecken.
Plötzlich begann Gabrielles Hand zu beben. „Thomas“, flüsterte sie und sah so kummervoll aus, dass es Yves das Herz zusammenzog.
„Wo ist er?“
„Ich weiß es nicht. Philippe hat ihn mit sich genommen.“ Sie packte in plötzlicher Besorgnis Yves’ Arm, und in ihren Augen stand Angst. „Er kann ihn nicht getötet haben. Thomas muss hier sein!“
Der Ritter ergriff ihre fröstelnden Hände und schaute sie mit festem Blick an, damit sie ihm glauben sollte. „Ich werde ihn finden.“
Gabrielle wich seinem Blick aus, dann holte sie tief Luft und sah ihn an. „Ich weiß“, antwortete sie unsicher. „Ich weiß.“ Ihre Wangen erröteten und brannten wie Feuer, doch sie wandte sich nicht ab.
Es war, als ob sie ihn bitten wollte, ihr Glauben zu schenken.
Diese beiden einfachen Worte erfüllten Yves mit Stolz, denn er hatte nicht erwartet, dass sie sich auf irgendjemanden verlassen würde, schon gar nicht auf ihn. In diesem Moment wusste er, dass er nicht ruhen durfte, bis alles in ihrem Leben wieder seine Ordnung gefunden hatte.
Sie schluckte erneut und sah ihn mit großen Augen an. Ihre Worte waren so leise, dass er sich ganz nahe hinabbeugen musste, um sie zu verstehen. „Ich bin so froh, dass Seymour de Crecy seinen Auftrag nicht erfüllte.“
Dann eilte sie davon.
Yves’ Herz pochte, als er sah, wie die Burgherrin um die Biegung des Korridors verschwand. Er konnte kaum atmen. Welchen Zauberbann hatte sie über ihn gesprochen?
Während die anderen die Verwundeten versorgten und den entstandenen Schaden besahen, öffnete Yves, gefolgt von Gaston, den einer von Yves’ Männern aus der versperrten Kammer befreit hatte, jede Tür in der Burg. Er spähte in jeden Winkel und rief nach Thomas, obwohl er nicht erwartete, dass das Kind nun einem Fremden antworten würde. Mit größter Sorgfalt durchstöberte er das ganze Château, doch mit erschreckend wenig Erfolg.
Letztendlich befahl er Gaston, in der Halle zu warten, und begab sich in das tiefe Burgverlies.
Ein leises Schluchzen machte ihn darauf aufmerksam, dass jemand hier unten war. Er hob seine Fackel und leuchtete in eine Zelle nach der anderen.
Durch das fest vergitterte Fenster in der vierten Tür konnte Yves einen blonden Knaben sehen, der sich im entferntesten
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