Historical Exclusiv 45
Wir nennen uns beim Vornamen, das genügt. Außer den Männern, die den Ehrgeiz haben, König zu werden“, fügte er grimmig hinzu.
Yvaine neigte den Kopf seitlich. „Du sprichst vermutlich von König Harald.“
„Pah.“ Er beäugte sie. „Du weißt gut Bescheid. Also bist du etwas Besseres, keine einfache Schanktochter. Ja, König Harald.“ Er schnaubte verächtlich. „Früher nannte man ihn Harald Blondhaar, bevor er sich die Krone aufsetzte und sich beim Gulathing zum König der Norweger ausrufen ließ. Er ist lediglich ein raffgieriger Tyrann, wenn du mich fragst, der sich unrechtmäßig Land aneignet und seine Untertanen mit hohen Tributzahlungen ausbeutet.“
Yvaine zog die Brauen hoch.
„Du hältst uns wohl auch nicht für besser, weil wir auf Plünderfahrt gehen, wie? Das wirst du aber verstehen, wenn du dich ein wenig umschaust, Mädchen. Wir besiedeln die schmalen Ufer der Fjorde. In den Sommermonaten weiden unsere Schafe und Kühe an den Berghängen, aber die Winter sind lang und hart, und weiter im Norden gibt es das ganze Jahr nur Eis und Schnee. Dort kann nur der Volksstamm der Lappen überleben, die sich vom Pelzhandel und Walfang ernähren. Und Odin weiß, dass sie ständig auf der Suche nach neuen Jagdgründen sind.“
„Ihr kämpft also, um Land zu gewinnen“, sagte sie. „Bei uns in England ist das nicht viel anders.“
„Ja, mit dem Unterschied, dass es bei euch Land gibt. Die Sippen, die sich Harald widersetzten, verloren ihr Land und ihre Höfe. Darum waren sie gezwungen, das Land zu verlassen, aber nicht alle überfielen England oder die Normandie.“
„Was ist aus ihnen geworden?“, fragte sie neugierig.
„Viele packten ihre Habe und gingen nach Island.“ Egil zuckte die knochigen Schultern. „Klingt nicht sehr einladend, wie? Aber auf Island hat sich eine blühende Kolonie entwickelt. Die Siedler gründeten ihr eigenes Althing, ihren eigenen Reichstag mit einem obersten Richter.“
„Du aber bist geblieben.“
„Niemand vertreibt mich von dem Land, das seit Generationen im Besitz meiner Sippe ist“, knurrte Egil bitter. „Wenigstens nicht, solange wir Tribut bezahlen können.“
Yvaine fragte sich, ob die Tributzahlungen an den König ein weiterer Grund für Roriks Plünderfahrten waren.
„Ja, wir konnten unseren Besitz behalten“, murmelte der alte Mann, kroch tiefer in die Pelze, die um seine Schultern lagen, und hielt den Blick starr ins Feuer gerichtet, als sehe er die Vergangenheit in den Flammen. „Und trotzdem war ich in großer Sorge, dass auch Sitric nach Island auswandern würde. Er war immer ein Hitzkopf, und Rorik wäre ihm auch in den Tod gefolgt.“
Aufmerksam hörte Yvaine ihm zu. „Aber er ging nicht nach Island?“, fragte sie leise, als der Greis in dumpfes Brüten versank.
„Nein.“ Egil rutschte ein wenig höher. „Der Gedanke, sich fest niederzulassen, war für Sitric nicht sonderlich reizvoll. Er wurde ein Gefolgsmann von Guthrum, dem König der Dänen.“ Egil schüttelte seufzend den Kopf. „Im Jahr, als ich Gunhild zur Frau nahm. Dabei hätte Sitric im eigenen Land genug zu kämpfen gehabt. Er und Gunhild hassten einander vom ersten Augenblick. Ihm gefiel nicht, wie sie Rorik behandelte, besonders nach Othars Geburt, was ihn trotzdem nicht abhielt, eines Nachts ohne ein Wort des Abschieds zu gehen.“
„Hat er sich auch nicht von Rorik verabschiedet?“ Sie entsann sich, dass Rorik zehn Jahre alt gewesen war, als sein Vater wieder geheiratet hatte. Kein Wunder, dass der Zehnjährige den rebellischen älteren Cousin, der ihn vor seiner bösen Stiefmutter in Schutz nahm, verehrt hatte wie einen Helden.
„Nein, nicht einmal von Rorik“, antwortete Egil trocken. „Und das aus gutem Grund. Sitric wusste genau, was ich getan hätte, wenn er Rorik mitgenommen hätte. Bei Thors Hammer! Der Junge war noch nicht erwachsen, aber stark und tapfer wie ein Krieger.“
Yvaine lächelte, und Egil nickte. „Ja, ich bin stolz auf meinen Sohn. Rorik war sehr wohl fähig, seine eigenen Kämpfe zu bestehen, denk also bloß nicht, Sitric habe seinen Cousin im Stich gelassen. Auch er war ein Mann, auf den man stolz sein konnte. Ich habe ihn nach dem Tod meines Bruders zu mir genommen und ihn wie meinen eigenen Sohn erzogen.“
„Was ist aus ihm geworden?“
„Pah! Du bist neugierig wie alle Frauen. Aber das ist eine scheußliche Geschichte. Es muss dir genügen, dass Sitric als Guthrums Gefolgsmann keine großen Abenteuer erwarteten. Im
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