HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
der Geburt. Beim letzten Male wäre auch Aziza fast gestorben. Danach beschloss ich, sie nicht mehr in andere Umstände zu bringen.“ Halil verstummte.
Mary entsann sich Azizas tragischen Blicks und der herrlichen Wandteppiche, die überall im Haus hingen. Ja, es gab sehr viel, das sie nicht verstanden hatte. „Und Jehani?“
„Sie können sich vielleicht denken, wie sie zu mir gekommen ist. Kurz nach meiner Ankunft in Mombasa trafen auch meine beiden Ehefrauen bei mir ein. Aber das Leben hier sei einsam, erklärten sie mir, und das Haus müsse von Kinderlachen erfüllt sein. Uns allen zuliebe habe ich deshalb Jehani zu mir genommen. Wie Sie sehen …“ Der Emir seufzte zufrieden.
Mary lächelte ihn herzlich an. „Für mich ergibt dennoch alles noch keinen Sinn. Ich kann die Hände nicht in den Schoß legen und darauf warten, ob das, was ich für meine Tochter und mich erreichen möchte, mir eines Tages von allein zufällt. Ich finde es besser, die Dinge in die Hand zu nehmen und um die Ziele zu kämpfen, die ich mir gesteckt habe.“
Halil nickte verständnisvoll. „Wie gesagt, Sie sind noch sehr jung, Madam.“
Sie wollte sich auf sichereres Terrain begeben und erwiderte: „In einem Punkt stimme ich mit Ihnen überein, Sir. Ihr Haus ist wundervoll, wie ein kleines Paradies.“
„Danke. Ich hatte Glück, als ich es nach meinem Eintreffen in Mombasa fand. Damals stand es zum Verkauf, da der frühere Besitzer auf Befehl des Sultans von Sansibar enthauptet worden war.“
„Enthauptet?“, wiederholte Mary bestürzt. „Aus welchem Grund?“
„Nun, sagen wir, weil Mustafa, so hieß der Mann, über kein gutes Urteilsvermögen verfügte. Er hatte sich seinen Reichtum durch Sklavenhandel erworben. Nachdem die britische Regierung und der Sultan einen Vertrag geschlossen hatten, der den Sklavenhandel verbot, mangelte es Mustafa an der nötigen Einsicht, sich dem neuen Gesetz zu beugen. Wie ich hörte, hat der Sultan dann beschlossen, an Mustafa ein Exempel zu statuieren.“
Jäh hatte Mary das Gefühl bekommen, ein unheilvoller Schatten lauere im Dunkel der Nacht. Es war schwer zu glauben, dass es an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert noch immer irgendwo auf der Welt Gegenden gab, wo Menschen überfallen, gefangen genommen und wie Tiere verkauft wurden. „Wird denn noch Sklavenhandel betrieben?“, fragte Mary erschüttert.
„Ja, allerdings unter weitaus größeren Risiken denn zuvor. Früher wurden die im Landesinneren von Afrika gefangenen Sklaven zur Küste gebracht und per Schiff auf die Märkte von Sansibar transportiert. Durch die Unterzeichnung des Vertrages wurde dieser Weg blockiert, denn die Gewässer vor Sansibar, das seither in den Elfenbeinhandel eingestiegen ist, werden von Patrouillenbooten nach Sklavenschiffen kontrolliert. Sie haben auch diesen Mustafa aufgebracht, was ich keineswegs bedauere. Erstens hatte er sein Los verdient, und zweitens wurde ich in die angenehme Lage versetzt, mir dieses schöne Haus und einen fähigen Bediensteten zulegen zu können.“
„Einen Bediensteten?“ Mary empfand ein unangenehmes Prickeln im Nacken.
„Hassan war der Vorsteher von Mustafas Dienerschaft, und ich habe ihn als Leibwächter übernommen. Bis heute hat er mir seinen Wert immer wieder aufs Neue bewiesen.“
„Ja, ich weiß das.“ Mary entsann sich, wie Hassan mit kühnem Sprung aus dem Scow ins Meer getaucht war und den Kopf ihrer Tochter über Wasser gehalten hatte. Selbst jetzt noch grauste es ihr bei der furchtbar schrecklichen Erinnerung, und rasch verdrängte sie diese unangenehmen Gedanken.
Halil gähnte schläfrig. „Ich hoffe, Madam, Sie werden mich alten Mann jetzt entschuldigen. Ich bin müde.“
„Ja, selbstverständlich.“ Sie erhob sich mit ihm. „Ich breche vor dem Morgengrauen auf und werde mich bemühen, niemanden aufzuwecken.“
Halil entfernte sich einige Schritte und drehte sich dann um. Sein markantes Profil zeichnete sich scharf gegen das Lampenlicht ab. „Seien Sie vorsichtig“, sagte er. „Fordern Sie das Schicksal nicht durch unbedacht eingegangene Risiken heraus. Sollten Sie anderen Sinnes werden …“
„Nein, ich bin fest entschlossen, das zu tun, was ich mir vorgenommen habe.“
„Dann möge Allah Sie schützen, mein Kind.“
Auf der Straße nach Machakos am 27. Februar 1899
Das Lager des Vortrupps – eine Masse staubiger Zelte, wimmelnder Menschen, lodernder Feuerstellen, aufgeschichteter Baumaterialien, verstreuter Unrathaufen und
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