HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
ausgesprochen hatte, war ihm noch lange nicht die Macht gegeben, es wahr werden zu lassen.
„Jenny ist so allein.“
Er hielt es nicht mehr aus. „Hör auf, Mary!“, erwiderte er unwirsch. „Es hat keinen Sinn, die Nerven zu verlieren.“
„Ich sagte doch, dass mit mir alles in Ordnung ist.“ Mary musste alle Willenskraft aufbringen, um sich zusammenzunehmen. „Ich bin nur abgespannt und mache mir Sorgen, das ist alles. Oh, Cameron! Warum musste es Jennifer treffen?“ Mary war nicht mehr imstande, sich noch länger zu beherrschen, und ließ zitternd den Tränen freien Lauf.
Unschlüssig lauschte Cameron ihrem Schluchzen. Er hatte sich vorgenommen, Distanz zu ihr zu wahren, doch ihr Schmerz war ihm unerträglich. Es war, als sei auch sein Leid zum Ausbruch gekommen, als weine Mary die Tränen, die er nicht vergoss. Von Sehnsucht nach ihr und Mitgefühl überwältigt, schlang er die Arme um sie und zog sie an die Brust.
Sie ließ ihn gewähren, wie ein Kind, das Schutz brauchte.
„Es wird alles gut, Schätzchen“, flüsterte Cameron. „Weine dich aus und lass den Kummer heraus.“
Sie schmiegte ihm das Gesicht an den Hals und gab sich keine Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
Er hielt sie fest an sich gedrückt, fühlte durch ihr dünnes Nachhemd ihre weichen Brüste und den aufgeregten Schlag ihres Herzens und kämpfte innerlich gegen den Wunsch an, ihr für immer Geborgenheit zu geben. Aber er konnte ihr nicht vertrauen. Sie hatte ihn zurückgewiesen, getäuscht und betrogen. Wenn er jetzt schwach wurde, begab er sich wissentlich in sein Unglück. Er spürte, dass sie sich etwas entspannte. Langsam versiegten ihre Tränen, und schließlich beruhigte sie sich. Ihr Atem kam tief und gleichmäßig. Sie hatte sich in den Schlaf geweint.
Cameron schloss die Augen und fand es wider Willen wundervoll, dass sie so nah bei ihm war. Schläfrig sagte er sich, es sei töricht, sie in den Armen zu halten, war jedoch unfähig, sich von ihr zu lösen, denn in all den Jahren der Einsamkeit hatte er nie das schlichte Glück gekannt, neben einer Frau einzuschlummern.
Sie murmelte im Schlaf und kuschelte sich enger an Cameron. Er strich ihr das Haar von der Wange, küsste sie dann, unfähig, dem Reiz zu widerstehend, auf die Stirn und spürte Verlangen sich regen. Er gelüstete ihn danach, ihr einen richtigen Kuss zu geben, ihr das Nachthemd auszuziehen und sie überall zu küssen. Ihr zuliebe, weil sie Ruhe brauchte, hielt er sich jedoch zurück. Je länger er indes an ihrer Seite ausharrte, desto stärker fühlte er Grimm in sich aufsteigen. Schließlich war Mary seine Gattin, und folglich hatte er jedes Recht, sie zu besitzen, wann der Sinn ihm danach stand. Nein, das stimmte nicht. Dieses Recht hatte er nicht mehr. Er hatte stets die Meinung vertreten, dass niemand berechtigt war, einen anderen Menschen zu etwas zu zwingen, nicht einmal in der Ehe.
Seufzend rückte er ein Stückchen von der Gemahlin fort und ließ sie ungestört weiterschlafen. Am nächsten Tag würde sie alle ihre Kraft brauchen, denn der folgende Abschnitt auf dem Weg zum Dscharengpass war doppelt so lang wie der zurückgelegte. Eigentlich war sie bisher recht tapfer gewesen, hatte klaglos mit den vorangehenden Trägern Schritt gehalten und keine besondere Behandlung verlangt. Es ließ sich nicht leugnen, dass sie Mumm hatte. Doch für ein Weib würde der weitere Verlauf des Marsches viel zu hart werden, ganz zu schweigen von dem am Ende zu erwartenden, herzzerbrechenden Kampf um die Tochter. Doch daran durfte Cameron jetzt nicht denken. Er musste davon überzeugt sein, dass sie noch lebte, gefunden und gerettet wurde, was immer in der Zwischenzeit auch geschehen sein mochte. Sonst wäre er nicht mehr imstande gewesen, den hoffnungsvollen Blick der Gattin zu ertragen.
Ein Geräusch weckte Cameron. Er lauschte, und ein Schauer des Unbehagens rann ihm über den Rücken. Einen Moment später war er ganz sicher, dass er das Brüllen eines Löwen gehört hatte, der glücklicherweise nicht in unmittelbarer Nähe zu sein schien. Seit dem Zwischenfall bei Voi brach ihm jedes Mal der Schweiß aus, wenn er das weithin schallende Gebrüll eines gereizten Löwen vernahm.
Behutsam, um die schlafende Gattin nicht zu wecken, erhob er sich, ging zum Zelteingang und hob eine Plane. Die Sterne begannen bereits zu verblassen. In einer Stunde würde es hell genug sein, um das Lager abzubrechen und den Marsch fortzusetzen. Zu rastlos, um sich noch einmal
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