HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
nachlässig in der Erfüllung ihrer Pflichten und sorglos im Umgang mit ihren Gewehren.
Die Hitze, der Durst und die Besorgnis um die Verlässlichkeit der Eingeborenen waren jedoch nicht die größten Belastungen, denen Mary sich ausgesetzt sah. Am meisten bedrückte sie das zwischen ihr und dem Gatten herrschende verbitterte Schweigen. Von morgens bis abends redeten sie nur das Nötigste, und jeder wich dem Blick des anderen aus. Nachts betrat Cameron das Zelt nur, wenn er überzeugt war, sie schliefe, und in der Frühe hatte er es bereits verlassen, wenn Mary aus dem Schlafsack kroch. Selbst wenn sie noch munter war, hielt sie stets die Lider geschlossen und atmete gleichmäßig, da sie es vorzog, Schlaf vorzutäuschen, statt den kalten Ausdruck in den Augen ihres Mannes oder seinen höflich spöttischen Ton ertragen zu müssen.
Es ärgerte sie, dass er ihr das Gefühl gab, sie habe ihn hintergangen, wiewohl er sie überlistet und ihr Vertrauen missbraucht hatte. Er tat gerade so, als müsse er sie für etwas strafen, das ihm vorzuwerfen war. Oh, als sie ihm gesagt hatte, er solle die Hände von ihr lassen, war jedes Wort so gemeint gewesen. Schließlich hatte er sie in einem Moment, da sie schwach geworden war, hemmungslos ausgenutzt. Sie würde ihm nie wieder vertrauen. Doch davon abgesehen, brauchte sie seinen Zuspruch und Trost, denn ihre Tochter war ja entführt worden. Das musste er doch begreifen, es sei denn, es war seine Absicht, sie auch dafür zu strafen, dass sie Jennifer nach Afrika mitgebracht und in der Obhut von Fremden zurückgelassen hatte.
Zwei Tage zuvor war der Niedrigwasser führende Tana auf großen, im Fluss liegenden Steinen überquert worden. Dort war nur eine kurze Rast eingelegt worden, um die Feldflaschen und ledernen Wasserbeutel aufzufüllen. Das Wasser war brackig, aber zum Überleben notwendig. Nach dem Verlassen des Tanalandes hatte der Anstieg in die Berge begonnen, und inzwischen war, fern am blauen Horizont, der gezackte Gipfel des den Kikuyu heiligen Kenia zu sehen. Mary hatte den eingeschlagenen Weg auf der Zeichnung des Emirs verfolgt, jedoch Schwierigkeiten, sich auf der nicht maßstabsgerechten Karte zurechtzufinden. Sie wusste, dass die Route am Westhang des Kenia vorbei wieder in die hügeligen Ausläufer führen würde. Nach dem Erreichen des Dscharengpasses würde man den Berg im Rücken haben. Manchmal wirkte er sehr nah, doch der Schein trog. Seit Tagen marschierte man auf ihn zu, und dennoch schien er kaum näher zu rücken. Nun begriff Mary, wie trügerisch die Einschätzung von Entfernungen in der ungeheuren Weite Afrikas sein konnte.
Nach anstrengendem Marsch beobachtete Mary eines Tages am frühen Abend eine um eine bestimmte Stelle hockende Schar flügelschlagender Kappengeier, zwischen denen aufgeregte Marabus auf und ab stolzierten. Erst beim Näherkommen erkannte sie den Grund für die große Ansammlung der Aasfresser.
„Schau nicht hin!“ Rasch ergriff Cameron sie beim Arm und zog sie an sich und hielt sie fest, damit sie sich nicht umdrehen konnte. Übersät von Schmeißfliegen, lagen drei Araber und schätzungsweise fünfundzwanzig Swahili in blutdurchtränkten Kansus um eine flache, ausgetrocknete Wasserstelle. Dem Verwesungsgeruch nach zu urteilen, mussten sie schon einige Tage tot sein. Cameron befahl zwei Askaris, zu den Leichen zu gehen und nach Spuren zu suchen, die das Gemetzel erklären konnten.
Wie erstarrt wartete Mary auf die Rückkehr der Soldaten. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke, und bestürzt fragte sie: „Können das Jennys Entführer sein?“
„Sei nicht albern! Sie haben einen ganz anderen Weg zum Dscharengpass genommen!“
Mary musste dem Gatten recht geben und war erleichtert.
Die beiden Askaris kehrten schnell vom Ort des grausigen Massakers zurück und brachten einen langspitzigen Speer mit.
Cameron warf einen Blick auf die Waffe und sagte grimmig: „Kikuyu haben die Karawane überfallen. Ziehen wir weiter, denn wir können nichts mehr für die Toten tun.“ Er erteilte den drei den Zug anführenden Soldaten die Order, den Marsch fortzusetzen, und die anderen Swahili formierten sich wieder zu einer langen Reihe.
Schweigend stapfte Mary hinter ihrem Mann her, starrte sein schweißnasses Hemd an und dachte an die Tochter. Nach etwa einer Meile konnte sie nicht länger still sein, holte tief Luft und erkundigte sich: „Wie mag der Überfall geschehen sein, Cameron?“
Er seufzte. „Die Karawane ist in einen
Weitere Kostenlose Bücher