HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
breitkronigen Schirmakazien vorzufinden. Doch dort befand sich niemand, war kein flackerndes Feuer oder ein Zelt zu sehen. Vom angestrengten Laufen hatte sie Seitenstiche, als sie die Stelle des Lagers erreichte. Das Gras war niedergetreten, und aus der Asche in den Feuerstellen stiegen dünne Rauchfahnen auf. Jäh begriff Mary, was geschehen war, setzte sich erschöpft und atemlos vor einen Baum und lehnte sich an den Stamm. Cameron hatte sie tatsächlich zurückgelassen. Nun war ihr alles klar. Oh, ja! Er hatte von Anfang an diese Absicht verfolgt. Er hatte ihr nur eine Zeit lang beweisen wollen, wie anstrengend der Marsch war, damit sie entmutigt wurde, und dann vorgehabt, sie hier zu verlassen, in der Obhut wohlmeinender Fremder. Möglicherweise war sogar Mr. Robertson seit dem vergangenen Abend in Camerons Vorhaben eingeweiht gewesen, vielleicht auch seine Frau. Mary konnte sich vorstellen, wie die drei sich hinter ihrem Rücken abgesprochen hatten.
Gekränkt und wütend über den Verrat, schlug sie mit der Faust in den Staub. Ja, natürlich war alles arrangiert gewesen. Sobald sie weinend ins Haus zurückkehrte, würden die Robertsons ihr mit freundlichen Worten erklären, warum der Gatte ihr die Gefahren und Entbehrungen des Weitermarsches hatte ersparen wollen. Oh, sie konnte nicht zu ihnen gehen, sich diesen Quatsch anhören und ihre mitleidigen Blicke ertragen! Das Schlimmste war jedoch der von Cameron an ihr begangene schändliche Verrat. Wie hatte er sie in die Arme nehmen, sie leidenschaftlich lieben können, obwohl er längst wusste, dass er sie verlassen würde?
Empört, von Wut und Verzweiflung getrieben sprang sie auf. Es kam überhaupt nicht infrage, unter solchen Umständen zu den Robertsons zurückzugehen. Nein, sie musste den Gatten einholen, nicht etwa, weil sie sich durch seinen Vertrauensbruch verletzt fühlte und zornig war. Darüber hätte sie achselzuckend hinwegsehen, sich umdrehen und in den Ort zurückkehren können. Aber sie konnte die Tochter nicht aufgeben, die irgendwo in der Weite dieser öden Landschaft war, verängstigt und in großer Gefahr. Allein konnte sie Jenny nicht befreien. Dafür brauchte sie den Gatten. Doch Jennifer zuliebe würde sie seine beißenden Bemerkungen ertragen, seine Arroganz und seine Unwahrheiten. Für sie zählte jetzt nur, dabei zu sein, wenn die Tochter gefunden wurde.
Sie trank einen kleinen Schluck Wasser, denn sie wusste, dass sie sparsam damit umgehen musste, bis sie ihren Mann, der höchstens einen zweistündigen Vorsprung haben konnte, auf dem von den Swahili durch das Gras getretenen Pfad eingeholt hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihn bis zum Abend erreicht, und sie war entschlossen, sich dann nicht nach Machakos zurückschicken zu lassen. Sie schraubte die Feldflasche zu, machte sie am Rucksack fest und setzte sich, tapfer die Schultern straffend, mit langen Schritten in Marsch. Natürlich wusste sie, dass sie unterwegs mancherlei Gefahren ausgeliefert sein würde, doch es hatte keinen Sinn, sie sich auszumalen, da sie sonst den Mut verlor. Viel wichtiger war, nur an die verschleppte Tochter zu denken.
Cameron saß abseits des Lagerfeuers in der Dunkelheit und starrte in die Flammen. Das Essen war beendet, und die Swahili hatten sich zur Ruhe begeben. Cameron schätzte, dass sie mindestens zwanzig Meilen zurückgelegt hatten, doch trotz der Erschöpfung war er nicht so müde, um einschlafen zu können. Er spielte mit einem von der Erde aufgehobenen Zweig, zerbrach ihn dann geistesabwesend und warf die Stückchen in das Feuer. Ja, an diesem Tag hatte er aus dem Wunsch, eine große Strecke zwischen sich und die Gattin zu bringen, die Eingeborenen hart vorangetrieben und nur hin und wieder wenige Minuten Rast eingelegt. Natürlich waren die Träger und Askaris nicht zufrieden gewesen. Er hatte sie murren gehört und ihren Missmut gesehen, es sich jedoch nicht leisten können, ihnen die Anstrengungen zu ersparen. Es war besser, jetzt so weit wie möglich zu kommen, falls es später Verzögerungen gab.
Er schloss die Augen, lauschte dem Knacken des verbrennenden Holzes und den Geräuschen der Nacht. Das Gras raschelte im Wind, und das Gekreisch der unvermeidlichen Hyänen war zu hören. Immer wieder sah Cameron das Gesicht der Gattin vor sich, wiewohl er sich den ganzen Tag hindurch bemüht hatte, das Bild zu verdrängen. Aber es hatte ihn auf Schritt und Tritt verfolgt. Wenn es ihn weiterhin heimsuchte, würde er bald den Verstand verlieren.
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