HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
zu dem Wächter um und äußerte mit heller, glockenreiner Stimme einen Befehl. Gehorsam wandte der Eingeborene das Gesicht ab, hielt jedoch das Seil fest, während Jenny sich im Mondlicht hinhockte.
Wie eine Katze schnellte Mary vor, holte mit dem Karabiner aus und traf den Swahili seitlich am Kopf. Der Wangenknochen brach, und von der Wucht des Schlages halb betäubt, torkelte der Schwarze und ließ das Seil fallen.
Jennifer war mitten in der Bewegung erstarrt und schaute fassungslos zu Mary herüber. „Lauf, Jenny!“, befahl sie der Tochter. „ Versteck dich dort oben zwischen den Felsen!“ Im nächsten Moment wurde sie von dem blutüberströmten, vor Schmerz brüllenden Eingeborenen angegriffen. Hoffend, dass Jenny ihr gehorchen würde, holte sie noch einmal mit dem Gewehr aus. Doch ihre Kraft war verbraucht. Der Schaft des Karabiners prallte an der Schulter des Negers ab.
Wütend sprang der Swahili sie an; sie nahm noch wahr, dass die Tochter zwischen den Gesteinsbrocken verschwand, und versuchte dann, dem Wächter verzweifelt nach allen Seiten ausweichend, auf ihn anzulegen und zu schießen. Doch es gelang ihr nicht. Unvermittelt erschienen vom Lärm aus dem Camp gelockte Menschen und umringten sie schreiend. Die Gesichter verschwammen ihr vor den Augen, und das Gewehr erschien ihr plötzlich unfassbar schwer. Sie war beinahe erleichtert, als es ihr aus der Hand gerissen wurde. Stolpernd und taumelnd bemühte sie sich, den Feinden zu entrinnen, doch die Beine trugen sie nicht mehr. Mit letzter Kraft erwehrte sie sich der groben Hände, die nach ihren Armen griffen. Der ekelerregende Gestank kalten Tabaks, Schweißes und Knoblauchs schlug ihr entgegen. Schwach war sie sich bewusst, dass sie gestoßen, weitergezerrt und dann hochgehoben wurde. Ehe ihr schwarz vor den Augen wurde, sah sie Hassans grinsendes Gesicht.
Cameron hatte das Geschehen von der gegenüberliegenden Seite der Schlucht aus beobachtet und in ohnmächtiger Wut die Finger um das Heft des Panga gepresst. Im Stillen verfluchte er sich, weil er das Gewehr nicht behalten hatte, obwohl es ihm unter diesen Umständen nicht viel genützt hätte. Das Risiko, mit einem Schuss die Gattin zu treffen, wäre viel zu groß gewesen, und außerdem hatten die Swahili sich in der Überzahl befunden. Cameron war nichts anderes übrig geblieben, als in stummer Verzweiflung und innerlich aufstöhnend mitzuerleben, wie Mary, einem verwundeten Tier gleich und offensichtlich bewusstlos, zu den Zelten gebracht wurde.
Mary war in schrecklicher Gefahr, und er ängstigte sich sehr um sie, aber dennoch musste er sich jetzt auf etwas anderes konzentrieren. Noch jemandem drohte das Schlimmste, einem kleinen Mädchen, seiner Tochter, die allein und furchtsam irgendwo in der Dunkelheit war. Er wusste, dass die Gattin sein Verhalten billigen würde, ganz gleich, was ihr dort unten im Lager widerfahren mochte.
Entschlossen verließ er vorsichtig das enge Versteck und schlich den Abhang hinauf. Während er voranhastete, erhaschte er hin und wieder einen Blick auf das Camp. Die Gattin war nirgendwo zu sehen, doch zwei Swahili hatten Fackeln angezündet und waren auf der Suche nach Jennifer. Verzweifelt eilte er weiter und achtete darauf, auf dem Geröll nicht auszurutschen. Er konnte es sich nicht leisten, Lärm zu machen und so seine Anwesenheit zu verraten. Das Leben der beiden Menschen, die ihm im Leben das meiste bedeuteten, stand auf dem Spiel. Donner grollte, und Fledermäuse stießen ein schrilles Pfeifen aus, als Cameron über den Weg am Ausgang der Schlucht hastete. Hier befand er sich außer Hörweite des Lagers, und zudem war der Untergrund fest. Nun konnte er rennen, und das tat er auch, keuchend von der Anstrengung. Klopfenden Herzens suchte er die Seite der Schlucht ab, wo seine Tochter zwischen dem aufragenden Gestein in den Schatten verschwunden war. Sie konnte überall sein. Und langsam wurde die Zeit knapp.
Flackerndes Licht zuckte über die Steilwand. Es mussten mindestens zwei Männer sein, die Jennifer suchten, wahrscheinlich mehr. Alle waren bestimmt bewaffnet, und jedem musste klar sein, dass ein kleines, verstörtes Kind in diesem unebenen Gelände nicht weit gekommen sein konnte. Cameron blieb stehen, um Atem zu holen. Ja, gewiss würden die Verfolger vermuten, dass Mary nicht allein gewesen war. Doch sie würden mit einer Schar bewaffneter Retter rechnen, nicht nur mit einem einzigen Mann. Er musste ihre Unwissenheit zu seinem Vorteil nutzen.
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