HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
und alle Hoffnungen auf die Befreiung der Tochter zunichte gemacht. Sie beobachtete Hassan, der hoch aufgerichtet, eine lange Peitsche in den Händen, durch das Camp stolzierte. Von der beflissenen Unterwürfigkeit, die er als Halil ibn Aybaks Diener zur Schau getragen hatte, war nichts mehr zu sehen. Die Sklaven duckten sich, als er an ihnen vorüberschritt und sich zu den beiden rauchenden Arabern gesellte.
Mary beugte sich vor und schaute über den Rand der Felsen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass dieser Ort offensichtlich früher von anderen Karawanen zur Aufstellung von Wachen benutzt worden war. Ein schmaler Pfad schlängelte sich durch die Steine bis zum Tal des Engpasses. Aufgeregt beschloss sie, sich näher an die Schlucht zu wagen, um ein Anzeichen dafür zu entdecken, dass Jennifer sich bei den Sklavenhändlern befand. Sie entspannte den Gewehrhahn und verließ den Schutz der Felsen. Der Mond schien durch die Wolken und erhellte ihr den Weg, während sie heftig pochenden Herzens, das Gewehr mit feucht gewordenen Händen haltend, aus dem Schatten eines Felsens in den nächsten huschte. Und dann war sie unvermittelt so nah am Lager, dass sie, hinter Dornbüschen verborgen, das Knacken der brennenden Äste hören konnte. Sie legte sich flach auf die Erde und bewegte sich auf Händen und Knien weiter. Das Camp war durch das Geäst gut zu überblicken. Sie vernahm Gemurmel und roch den Tabakrauch, der sich in den Duft des Essens mischte.
Ein Eingeborenenwächter schlenderte so nahe an ihr vorbei, dass sie die Narben der Wunden auf den dünnen Beinen sehen konnte, die er sich auf dem Marsch durch den Busch zugezogen hatte. Er blieb stehen, spuckte aus und kehrte um. Bis er verschwunden war, verharrte sie reglos und hielt verzweifelt Ausschau nach der Tochter, konnte sie indes nirgendwo ausmachen. Vermutlich befand sich Jennifer, falls sie überhaupt bei der Karawane war, in einem der Zelte. Mary sank das Herz. Gewissheit würde sie erst erlangen, wenn die Sklavenhändler am Morgen das Lager abbrachen. Von Enttäuschung überkommen, kroch sie langsam rückwärts. Sie wusste, der Gatte würde wütend sein, wenn er sie nicht mehr in der Felsspalte antraf. Vielleicht gelangte sie noch rechtzeitig vor ihm dorthin.
Eine kleine, süß klingende Stimme riss sie aus den Gedanken, und sogleich gab es ihr einen Stich im Herzen. Ungläubig hob sie den Kopf. Kaum vierzig Schritte von ihr entfernt war die Tochter mit verschmiertem Gesicht und strähnigem Haar, in zerrissenen, schmutzigen Kleidern, aus einem Zelt gekommen. Gott im Himmel! Jennifer! Im ersten Moment sah Mary nur sie, doch dann bemerkte sie, dass die Tochter nicht allein war. Ein untersetzter, mürrischer Swahili war hinter ihr erschienen und hielt ein langes, an Jennys ledernem Halskragen befestigtes Seil in der Hand.
Mary unterdrückte einen wütenden Aufschrei. Sie durfte niemandes Aufmerksamkeit erregen, denn dann war alles verloren. Sie konnte nur in stiller Angst zuschauen, wie Jennifer und ihr Peiniger durch das Lager gingen und auf die Stelle zukamen, wo sie selbst verborgen lag. Erschüttert betrachtete sie die Tochter. Abgesehen von dem unordentlichen Äußeren schien Jennifer gesund zu sein. Sie hatte angehalten, sich zu dem Eingeborenen umgedreht und sagte etwas zu ihm. Erstaunt merkte Mary, dass die Tochter in den langen Wochen der Reise durch das Tanaland Arabisch gelernt hatte. Unwillkürlich war sie stolz auf sie. Jenny hatte mehr vom Vater geerbt als nur die eindrucksvollen blauen Augen.
Sie und der Swahili setzten den Weg fort und näherten sich einem Durchlass im Dornengestrüpp, der etwa ein Dutzend Schritte rechterhand von Mary entfernt war. Jenny hüpfte nervös auf und ab, und Mary begriff, dass die Tochter ihre Notdurft verrichten wollte. In wenigen Minuten würden das Kind und der Bewacher den Blicken aus dem Lager entzogen sein. Die Gelegenheit war ein Geschenk des Himmels!
Die Muskeln anspannend, richtete Mary sich halb auf und zog die Beine an. Schießen konnte sie nicht, ohne die Entführer zu alarmieren, aber den harten Schaft des Gewehres als Schlagwaffe benutzen. Sie klammerte die Hände um den Lauf, stand vorsichtig auf bewegte sich tief geduckt weiter. Falls der Hieb zu leicht war oder nicht richtig traf, würde sie keine zweite Chance haben, den Swahili niederzuschlagen. Durch das Gestrüpp konnte sie ihn und die Tochter erkennen. Sie hatten an einer abgelegenen Stelle inmitten der Büsche angehalten. Jennifer blickte sich
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