HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
einnahm, und wunderte sich, dass Jed das nicht ebenfalls tat. Damit zeigte er doch seine ausländische Herkunft und seine kriminellen Absichten! Jetzt schlich er zu dem einzelnen Wachposten, der ebenfalls am Boden im Gebet verharrte.
Ein paar Minuten später lag der Wachmann noch immer am Boden; freilich war er jetzt bewusstlos und geknebelt. Unterdessen richteten Ali und Jed eine Feluke am Strand auf und ließen sie ins Wasser gleiten.
„Los, Vicky, rasch!“, rief Jed, während Ali das Segeltuch der anderen Boote zerschnitt.
„Die Feluke liegt doch im Wasser, und hier gibt es keinen Steg“, wandte Victoria ein.
„Heben Sie Ihre Röcke hoch und waten Sie zum Heck. Sie werden nur bis zu den Waden nass. Nun los doch! Wir haben nicht viel Zeit.“
„Gibt es denn keine …“
In diesem Moment peitschten vom Tor her Schüsse auf. Mit einem Satz sprang Victoria in die Feluke. Jed duckte den Kopf und zerschnitt das Ankertau.
„He, du da! Lass mein Boot in Ruhe, oder die Soldaten erschießen dich mit der nächsten Salve“, drohte jemand zornig. Jed hob den Kopf ein wenig und erschrak dann. Nicht er oder Victoria waren gemeint, sondern Ali. Ein wohlgenährter Kaufmann stand oben bei den Flusstoren, neben ihm ein Soldat, welcher sein Gewehr auf den Ägypter richtete, der fünfzig Schritt weiter hinter einer Feluke kauerte.
„Ali, lauf!“, schrie Jed.
Doch Ali reagierte zu langsam. Der Schuss krachte. Dreißig Schritte von Jeds segelbereitem Boot entfernt stürzte der Ägypter kopfüber in den Sand, und der Sudanese lief den abschüssigen Strand hinunter auf ihn zu.
„Halten Sie das Seil fest!“, brüllte Jed Victoria zu und sprang über Bord. Schon peilte der Soldat das neue Ziel an. Entsetzt beobachtete Victoria, wie ihr Befreier im Zickzack gebückt durch das flache Wasser rannte. Er kniete sich kurz neben Alis reglosen Körper, während ringsum die Kugeln den Sand aufspritzen ließen.
„Dieser verdammte Kerl“, schimpfte die Engländerin. Der Sog der Strömung wurde stärker. Victoria konnte kaum noch das Seil festhalten. Natürlich gönnte sie dem Ägypter die Hilfe, doch wieso dauerte es so lange? Sie hob den Kopf ein wenig und sah die neugierigen Menschen vor dem Tor zusammenströmen. Der Schütze war nirgends zu sehen. Schlich er sich vielleicht gerade an sie heran?
Ehe Victoria das Seil fahren ließ, schwankte das Boot heftig. Sie drehte sich um und sah Ali an Deck fallen; Jed zog sich hinter ihm in die Feluke.
„Lassen Sie das Seil los, und geben Sie mir die lange Stange“, befahl er und schwenkte das Segel herum. „Hier, halten Sie dies fest. Ich bringe uns weiter in den Strom.“
Victoria ärgerte sich zwar über seinen Ton, gehorchte jedoch. „Werden uns die Leute dort nicht folgen?“
„Nicht wenn Ali seine Aufgabe erfüllt hat“, antwortete Jed und stieß die Feluke so weit vom Ufer fort, dass ihnen die gelegentlichen Schüsse nicht mehr gefährlich werden konnten.
„Ich übernehme das Segel. Verstauen Sie die Stange, und schauen Sie nach Ali. Die Kugel muss drinbleiben, bis wir wieder ans Ufer kommen. Sehen Sie nach, ob er noch blutet. Wenn ja, suchen Sie sich etwas, womit Sie die Blutung stillen können.“
Hört denn dieser Albtraum nie auf? dachte Victoria und kroch zögernd zu Ali. Sie vertrug zwar den Anblick von Blut nicht, doch sie konnte dem Mann auch nicht die Hilfe versagen. Sein Hemdrücken war klebrig und dunkelrot durchtränkt, doch neues Blut trat offenbar nicht mehr aus. Sie spülte sich rasch die Hand ab und ließ Wasser auf Alis Stirn tropfen. Davon wachte der Verletzte nicht auf.
Victoria blickte zu dem Mann, der sie aus dem Sklavenpferch geholt hatte. Er war zwar ungehobelt, doch er hatte seinen Partner nicht im Stich gelassen. Konnte es sein, dass er gar nicht so schlecht war, wie sie dachte?
„Ihr Freund rührt sich nicht mehr“, sagte sie zu ihm.
„Wieso nicht?“
„Woher soll ich das wissen? Vielleicht, weil er zu viel Blut verloren hat oder weil Sie ihn wie einen Sack Kartoffeln an Bord geworfen haben.“
„Ich habe ihm das Leben gerettet, Lady, genau wie Ihres auch.“
„Daran erinnern Sie mich oft genug. Wer sind Sie eigentlich?“
„Jemand, der vor die Wahl gestellt wurde, entweder im Gefängnis zu verrotten oder Sie zu befreien. Ich traf die falsche Wahl.“
„Ich auch. Ich hätte in Khartum bleiben sollen.“
„Da ich Reed kenne, verstehe ich Ihre Zweifel.“
„Sie sind unerträglich! Ständig erteilen Sie mir Befehle, als
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