HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
war kantig, und seine Gesichtszüge wirkten edel. Er erschien aristokratisch, obgleich er sich nicht auf einen Adelstitel berufen konnte. Konsulatsangestellter beim Vizekonsul war vielmehr der einzige Titel, den Hayden Reed besaß. Falls Vater tatsächlich den Premierminister beeinflussen kann, dachte Victoria, dann wird das Leben wirklich großartig. Heirat und einen Titel – was für herrliche Aussichten würden die nächsten Monate bringen!
Zuerst kam selbstverständlich die Hochzeitsfeier, dann die Hochzeitsreise nach England. So sehr freute sich Victoria auf den Einkaufsbummel in London und auf die Spaziergänge an der kühlen, frischen Landluft in Warwick, dass sie vorübergehend die Hitze nicht mehr spürte, bis etwas ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Fluss lenkte. Sie hörte jemanden auf die Kaimauer springen, und dann sah sie zu ihrer Verblüffung zwei Einheimische den Anlegesteg heraufhasten, während ein dritter die Feluke festmachte, die ihr vorhin aufgefallen war.
„Dieses hier ist Privateigentum“, rief sie streng und wollte die Männer mit einer Handbewegung fortschicken. Die Frechheit der Ägypter war höchst ungewöhnlich; jeder in dieser Gegend wusste, dass man beim Anwesen der Shaws nicht einfach anlegen durfte. „Etwa zwei Meilen von hier gibt es eine öffentliche Anlegestelle.“
Trotzdem kamen die Männer unbeirrt immer näher. Möglicherweise verstanden sie ja kein Englisch.
„ Verschwindet jetzt, oder ich bin gezwungen, die Polizei zu rufen“, warnte sie. „Mein Verlobter hat Verbindungen zum Konsulat und dürfte diese Übertretung nicht auf sich beruhen lassen. Also macht euch wieder davon!“
Zum ersten Mal, seit sie in Ägypten war, kümmerten sich die Einheimischen nicht um Victorias Befehle, sondern näherten sich unbeeindruckt. Als die Männer nur noch wenige Schritte entfernt waren, bekam Victoria es mit der Angst zu tun und überlegte, ob sie nach dem alten Gärtner rufen sollte, der drüben im Park arbeitete.
Weshalb sollte sie andererseits Aufhebens machen, wenn doch niemand sie bedroht hatte? Vielleicht wollten die Männer im Haus nur eine Nachricht für ihren Vater abgeben. Zwar wirkten sie ein bisschen verkommen, doch das hieß ja noch nicht, dass sie Übles im Schilde führten. Möglicherweise hatten sie sich auch nur verirrt. Victoria fasste sich wieder.
„Falls Sie eine Nachricht zu übermitteln haben“, sagte sie in herrischer Tonlage, „mag einer von Ihnen sie zum Haus bringen, doch die anderen haben beim Boot zu warten.“ Sie deutete auf die Feluke.
„Du kommst mit uns“, erklärte der kleinere der beiden, packte sie und zog Victoria zu sich heran.
„Seien Sie nicht albern!“ Sie lachte auf, befreite sich und wich zurück, wobei sie ihren Hut verlor. Leider landete sie nur in den kräftigen Armen des zweiten Mannes. „Ich bin Britin und Hayden Reeds Verlobte. Weder er noch mein Vater werden es sich bieten lassen, dass man so mit mir umgeht.“
Unvermittelt wurde ihr ein übel riechender Lappen in den Mund gestopft. Sie musste würgen, und während sie noch versuchte, zu Atemluft zu kommen, warf der größere Araber sie sich über seine Schulter. Entsetzt wehrte sie sich gegen seinen Griff und stieß mit ihren spitzen Schuhen so kräftig sie konnte in die Magengegend des Mannes.
Das führte sowohl zu einem Erfolg als auch zu einem Fehlschlag. Als sie dabei nämlich auf eine empfindliche Stelle traf, warf ihr Häscher sie mit einem Schmerzensschrei ein paar Schritte neben der festgemachten Feluke ans Flussufer. Rasch sprang sie wieder auf, doch ehe sie sich den Knebel aus dem Mund zu reißen und um Hilfe zu schreien vermochte, hielt ihr der kleinere Mann schon die Arme hinter dem Rücken fest und fesselte sie.
Da ihr klar wurde, dass sie sich der Gesellschaft dieser Kerle wohl doch nicht so schnell würde entziehen können, fasste sie sich wenigstens so weit, dass sie noch die kleine Narbe auf der linken Wange des einen bemerkte, bevor sie kopfüber in die Feluke geworfen wurde.
Als sich das Boot in Bewegung setzte, wurde sich Victoria ihrer misslichen Lage erst richtig bewusst. Und sie hatte vorhin dagegen protestiert, Einladungen schreiben zu müssen! Grace würde jetzt die Dienstboten nach ihr ausschicken, die allerdings zu spät kamen.
Doch es gab ja noch Hayden. Wenn er erst einmal erfuhr, dass man sie gekidnappt hatte, würde er die ägyptischen sowie die englischen Behörden in Bewegung setzen und so lange nach ihr suchen lassen, bis sie
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