HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
Gestecke, dass der Sargdeckel beinahe zu blühen schien. Seit sieben Uhr morgens war die Kette der Gäste nicht abgerissen, und auch jetzt kamen noch immer Hunderte.
Deegan blieb lieber, wo er war. Nortons Beerdigung hatte seine sonst gute Stimmung gedämpft – etwas, das erst sehr wenige Ereignisse in seinem bisher einunddreißig Jahre währenden Leben getan hatten.
„Entschuldigung“, murmelte ein Mann, als er einer Gruppe Trauernder auswich und dabei an Deegan stieß.
Auch wenn er nichts gespürt hatte, so wusste Deegan doch aus Erfahrung, dass ihm seine Brieftasche entwendet worden war. Als er in die Uhrentasche griff, war natürlich auch die Uhr verschwunden.
Der Dieb war ein kleiner Bursche, der einen unauffälligen schwarzen Anzug und ein gestärktes Hemd trug; sein Bowlerhut saß ihm gerade auf dem Kopf. Obgleich Deegan den Taschendieb Charlie Wooton seit fast fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, erkannte er ihn doch ohne Schwierigkeiten.
Ein zufriedenes Lächeln umspielte Deegans Mundwinkel. Vielleicht war das seine Rettung. Anstatt die Aufmerksamkeit der Menge auf den Diebstahl zu lenken, folgte er unauffällig dem kleinen Mann, der sich einen höchst profitablen Weg durch die Trauernden bahnte.
Wooton brachte zwei Häuserblöocks zwischen sich und seine unwissenden Opfer, ehe er einen kleinen Kolonialwarenladen betrat. Er nickte dem Besitzer kurz zu und mischte sich dann unter die Kunden. Dabei steuerte er zielsicher auf einen Vorhang zu, der ein Hinterzimmer vom übrigen Geschäft trennte. Deegan trat ganz dicht hinter seinen alten Freund, als dieser den Vorhang beiseiteschob.
„Ich dachte, es gäbe so etwas wie Ganovenehre“, sagte er leise und hielt Wooton am Arm fest.
Der Taschendieb drehte sich um und blickte so drein, als ob er ehrlich überrascht sei, festgehalten zu werden. Das täuschte jedoch, denn insgeheim wartete er vermutlich nur gespannt darauf, die nächste Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen. „Verzeihen Sie, aber …“, begann er. Dann schwieg er plötzlich, und ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht. „Verdammt! Wenn das nicht Digger O’Rourke ist! Was, zum Teufel, treibt dich denn in diese Gegend?“
Deegan lockerte seinen festen Griff nicht. Er erklärte Wooton auch nicht, dass er inzwischen unter einem anderen Namen bekannt war. „Ich bin dir gefolgt, mein Guter“, antwortete er mit einer Stimme, die plötzlich einen leicht irischen Akzent aufwies.
„Mir gefolgt?“ Wooton runzelte die Stirn. „Warum denn das?“
„Aus dem gleichen Grund, warum dir jemand anderer folgen würde, Charlie. Ich will meine Brieftasche wieder. Und meine Uhr.“
Die Miene des Taschendiebs wirkte völlig unschuldig. „Hast du die Sachen verloren? Verdammt, Digger, das ist zu dumm.“
Deegan grinste und strich über die Taschen in Wootons Jacke. „Wirklich schade“, stimmte er zu und holte den Inhalt der Innentasche heraus. Er hielt dem Dieb eine besonders prall gefüllte Geldbörse vor die Nase. „Ein ziemlich guter Fang, wie ich sehe.“
Der kleine Mann versuchte ihm die Börse zu entreißen.
Deegan hielt sie außer Reichweite. „Meine Sachen, wenn ich bitten darf“, sagte er.
Wooton sah sich rasch zum Ladenbesitzer um. „Also gut“, meinte er schließlich. „Aber nicht hier. Hier könnte uns jederzeit ein Constabler beobachten.“
Er schob den Vorhang beiseite. Nachdem die beiden ins Hinterzimmer getreten waren und den Vorhang wieder zugezogen hatten, leerte der Dieb seine Taschen und legte alles vor sich auf einen wackeligen Tisch. Schon bald stapelten sich die Uhren und Brieftaschen.
„Such dir deine Sachen heraus“, forderte er Deegan auf und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
Deegan warf ihm die volle Börse zu und nahm seine eigenen Besitztümer wieder an sich. „Wenn du hier und da deinen Opfern ins Gesicht blicken würdest, unterliefe dir kein solcher Fehler.“
Wooton schüttelte den Kopf. „Aber dann werden die Leute aufmerksam. Trusty und ich haben dir das schon beigebracht, als du noch ein kleiner Junge warst. Wie hätte ich dich auch mit deinen Koteletten erkennen sollen, wenn du mich nicht angesprochen hättest?“
Das war zwar eine Lüge, aber Deegan wollte sie durchgehen lassen. Selbst mit seinen lohfarbenen Koteletten und dem gepflegten Schnurrbart sah er nicht viel anders aus als damals. Er war zwar größer und kantiger geworden, aber er hatte noch immer so einprägsame Gesichtszüge, dass sie für einen Mann in Wootons Gewerbe
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