HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
auf einmal wieder ihre frühere Schönheit durch.
„Oh, Miss Lilly! Ich hatte schon Angst, dass Sie nicht kommen würden!“, rief Belle.
Für einen Augenblick hatte Lilly den Eindruck, dass die Prostituierte den Standesunterschied zwischen ihnen vergessen hatte und die Fotografin in die Arme schließen würde. Doch das geschah nicht, was ihr ein wenig wehtat. Von ihren Lebensumständen einmal abgesehen, gab es wenig Unterschiede zwischen ihnen beiden. Weder Lilly noch Belle waren so unabhängig, wie sie sich das wünschten. Im Lauf der Wochen, die sie sich nun bereits kannten, hatte sie die heruntergekommene Frau ins Herz geschlossen. Belle hielt aber stets einen gewissen Abstand zu ihr. Das machte es unmöglich, auf eine wirkliche Freundschaft zu hoffen.
„Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe“, sagte Lilly und legte rasch die Kamera beiseite, um ihre Tasche mit den Fotografien durchsuchen zu können. „Meine Schwester weiß genau, wie wichtig mir mein einziger freier Nachmittag ist. Aber wenn sie kommt, um sich um meine Eltern zu kümmern, erzählt sie mir trotzdem jedes Mal die banalsten Dinge über ihre Kinder, sodass ich nie rechtzeitig wegkomme.“
Belle lächelte. „Mütter klagen gern, Miss Lilly. Ich hätte es bestimmt auch getan, wenn ich meine Kinder hätte behalten dürfen.“
Lilly wusste, dass es keine Worte dafür gab, die junge Frau über ihren Verlust hinwegzutrösten. „Ich halte es dennoch für rücksichtslos von ihr“, sagte sie. Endlich hatte sie die richtige Fotografie gefunden. „Hier ist sie. Alles Gute zum Geburtstag, Belle! Ich hoffe, dir gefällt das Bild, das ich ausgewählt habe.“
„Sie haben jedenfalls ziemlich viele gemacht“, erwiderte Belle, die erfreut das Bild in Empfang nahm. „Ich hatte schon befürchtet, ich sei so hässlich, dass Ihre Kamera mich nicht aufnehmen wollte.“
Lilly hatte tatsächlich viele Fotos gemacht. Einige zeigten Belle mit so schweren Blutergüssen, dass auch eine dicke Puderschicht sie nicht zu verbergen vermochte. Als sie eine Aufnahme für die Prostituierte gesucht hatte, war es ihr nicht leichtgefallen, ein Porträt zu finden, das etwas vorteilhafter wirkte.
„Oh, Miss Lilly!“ Belle seufzte zufrieden. Als sie von der sorgfältig gestellten Fotografie aufsah, standen ihr Tränen in den Augen. „Sie haben mich wieder schön werden lassen“, flüsterte sie gerührt.
„Unsinn“, widersprach die Fotografin entschlossen. „Du weißt genau, dass eine Fotografie nur das wiedergibt, was auch in Wirklichkeit da ist.“
„Ich nehme das Bild mit, wenn ich weggehe, und werde es immer in Ehren halten“, versprach die Frau.
Lilly schaute von ihrer Tasche auf, die sie gerade zumachen wollte. „Du gehst weg von hier? Wann?“
„Sobald ich mit einem gewissen Gentleman gesprochen habe“, erklärte Belle ihr fröhlich. „Ich weiß nämlich etwas über ihn, was ich nicht wissen sollte.“
„Du hast vor, jemanden zu erpressen?“ Lilly hielt vor Schrecken die Luft an. „Aber, Belle, das kannst du doch nicht tun. Das ist nicht richtig.“
Das Lächeln der jungen Frau erstarb. „Und was diese Männer jeden Tag mit mir machen – ist das vielleicht richtig?“
„Natürlich nicht“, entgegnete die Fotografin. „Es ist nur …“
„Sie und ich stammen aus verschiedenen Welten, Miss Lilly. Sie besuchen dieses Viertel nur. Ich lebe hier, und man kommt hier nicht heraus, wenn man nicht ein paar Zwanzigdollar-Goldstücke zusammenhat.“
Lilly trieb sich bereits lange genug in Barbary Coast herum, um zu wissen, dass es der Traum beinahe jeder Frau war, von hier einmal entkommen zu können. Doch dieser Traum würde für die meisten niemals in Erfüllung gehen. Belle wollte nun selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen. Aber Lilly hatte die bittere Erfahrung gemacht, dass so etwas in dieser Gegend fast immer scheiterte.
„Sei vorsichtig, Belle“, beschwor sie ihre Bekannte. „Es ist gar nicht so wichtig, ob es richtig oder falsch ist, was du da planst. Auf jeden Fall ist es sehr gefährlich.“
Die Prostituierte lächelte schwach. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Miss Lilly. Ich kenne diesen Mann gut genug, um zu wissen, dass ihm sein Ruf über alles geht. Er bedeutet ihm sogar mehr als Geld. Es wird bestimmt klappen, und dann bin ich weg von hier. Etwas Besseres kann es gar nicht geben.“
„Hast du mit diesem Mann schon gesprochen?“
Belle schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Ich weiß aber, wo ich ihn
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