HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
unpassenden Mannes geraten würde. Im Gegensatz zu ihr hatte Vinia eine Unmenge von Verehrern angezogen. Sie hatte unter ihnen ihren Ehemann als den aussichtsreichsten Kandidaten ausgewählt. Lilly konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Schwester jemals das Wort Liebe erwähnt hatte.
Dagegen war deutlich zu sehen, dass sich ihre Eltern sehr schätzten und liebten. Sie saßen des Öfteren Hände haltend auf dem Sofa, wenn sie sich unbeobachtet glaubten. Bereits vor dreiundvierzig Jahren hatten sie geheiratet, und ihre Verbundenheit miteinander war über die Zeit noch stärker geworden.
„Weißt du, Loner“, sagte Lilly, während die Katze zum Fußende des Bettes spazierte und sich dort für die Nacht zusammenrollte. „Wahrscheinlich liegt es gar nicht an meinem schlechten Geschmack, was Romane anbetrifft, dass ich so schrecklich romantisch veranlagt bin. Vermutlich ist Vinia einfach viel zu verwöhnt und selbstbezogen. Oder vielleicht ist sie auch eifersüchtig auf Mamas und Papas Liebe zueinander; schließlich will sie immer im Mittelpunkt stehen.“
Ihre Schwester hatte stets darauf geachtet, dass Lilly so wenig wie möglich Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Selbst nachdem sie heute nach Hause zurückgekommen war, hatte es Vinia geschafft, sie in den Hintergrund zu drängen. Als sie sich von Deegan verabschiedet und den Salon betreten hatte, befand sich ihre ältere Schwester bereits mitten in einer Anklagerede gegen sie. Sie berichtete ihren Eltern, dass sich Lilly von einem Fremden habe nach Hause begleiten lassen, wobei dieser Fremde in ihren Augen allerdings ein ausgesprochen höflicher Mann gewesen sei.
„Wahrscheinlich ist er ein Familienvater“, vermutete ihre Mutter, als Vinia eine kurze Pause machte, um Luft zu holen.
„Oh nein. Ich glaube nicht, dass er verheiratet ist“, widersprach sie.
„Ledig meinst du?“, fragte ihr Vater und lächelte dabei Lilly mit freundlichem Spott an. „Dann werden wir den Jungen bestimmt bald wieder mit einem Blumenstrauß in der Hand auf unserer Schwelle begrüßen dürfen.“
„Mit Blumen?“, fragte Vinia empört. „Wozu denn das?“
„Um Lilly den Hof zu machen“, erklärte ihr Vater.
„Lillith den Hof machen? Das kannst du doch nicht ernst meinen!“
Lilly merkte, wie sie vor Zorn über Vinias Annahme, dass sich kein Mann je für sie interessieren könnte, aber auch vor Scham über die Bemerkung ihres Vaters rot anlief.
„Unsinn!“, rief ihre Schwester. „Lillith sollte keinen Mann ermutigen, dessen Hintergrund uns nicht bekannt ist.“
„Ich möchte, dass sie eines Tages auch heiratet und Kinder hat“, sagte ihre Mutter leise.
„Natürlich“, stimmte Vinia zu. „Das wollen wir alle, und deshalb habe ich auch mit Mr. Abernathy gesprochen. Er hat ein gutes Einkommen und erst vor Kurzem seine Frau verloren. Nun möchte er eine zweite Mutter für seine sechs Kleinen finden.“
Wo fand sie nur immer diese Witwer? Der letzte Mann war ein gewisser Mr. Rotterdam gewesen, der nicht nur seine Frau, sondern auch große Teile seines Haars und einige Vorderzähne verloren hatte. Vermutlich war der neueste Kandidat ein Geizkragen mit ausgezeichneter Gesundheit, der sechs Kinder erst als den Anfang einer Familie verstand.
Anstatt weiter zuzuhören, hatte sich Lilly leise aus dem Salon gestohlen und war in die Küche gegangen, um dort ihren Ärger an einem Kuchenteig auszulassen. Sie war sich sicher, diesen Mr. Abernathy sehr langweilig zu finden.
„Im Vergleich zu Deegan wird mir jeder Mann langweilig vorkommen“, sagte sie laut und betrachtete ihre Katze.
Dann legte sie sich bequem hin und zog die dicke Decke hoch bis zum Kinn. Eine Frau bedurfte meist nur eines mutigen Ritters, um aus einer Gefahr gerettet zu werden. Also würde Deegan Galloway vermutlich der einzige Mann bleiben, der ihr so heldenhaft erschien. Wie konnte ein anderer auch nur die Hoffnung hegen, dagegen anzukommen?
Deegan würde auf immer einen ganz besonderen Platz in ihrem Herzen einnehmen, denn er war gerade zum richtigen Zeitpunkt für ein Abenteuer bereit gewesen.
Und er hatte ihr auch ihren ersten Kuss gegeben. Lilly bezweifelte, dass irgendeine Frau so etwas jemals vergessen konnte. Es war allerdings sehr traurig, dass bei der Erinnerung an diese Augenblicke des Glücks stets auch der Geist von Belle Tauber in ihrem Gedächtnis auftauchen würde.
Obwohl sie spät eingeschlafen war, erwachte Lilly noch vor Sonnenaufgang. Sie war voller Tatendrang. In ihren
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