HISTORICAL EXCLUSIV Band 21
auf unbestimmte Zeit verschieben müssen. Vinia war nämlich wie ein Wirbelwind ins Haus gestürmt, gerade als sie sich zum Frühstück niedergelassen hatten. Der graue Himmel sah nach Regen aus, doch es war vor allem die Anwesenheit ihrer Schwester, die einen unheilvollen Tag versprach.
Lilly beendete den Abwasch und stellte eine tropfende Schüssel zum Trocknen auf ein Geschirrtuch. Gewöhnlich nahm sie sich die Zeit, das Geschirr auch abzutrocknen, um es gleich in den Schrank einordnen zu können. Doch Vinias Ungeduld machte es diesmal unmöglich, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen.
„Bist du endlich fertig?“, rief ihre Schwester aus dem Flur.
„Gleich.“ Lilly trocknete sich die nassen Hände an ihrer Schürze ab. „Ich schütte noch schnell das Wasser weg, und dann …“
„Ach, lass es doch, Lillith. Schütte es weg, nachdem wir dich hergerichtet haben. Wir haben nicht viel Zeit!“, drängte ihre Schwester und kam in die Küche. „Ich kann es kaum fassen, dass du so viel Glück gehabt hast, eine so wichtige Einladung zu bekommen.“
Lilly wünschte sich inzwischen, Deegan hätte sie niemals bei den Abbots erwähnt. Alle Frauen in ihrem Umkreis beschäftigten sich nun ausschließlich mit der Frage, was sie zu der musikalischen Soiree tragen sollte. Allerdings musste sie zugeben, dass auch sie ständig überlegte, welches Kleid sie anziehen konnte. Am Abend zuvor hatte sie in der vagen Hoffnung, ein Kleid zu entdecken, das für ein Fest auf Nob Hill geeignet sei, ihre dürftig ausgestattete Garderobe durchgesehen. Am ehesten kam noch ein graues Kleid infrage, das sie sich vor fünf Jahren für die Hochzeit einer Schulfreundin selbst genäht hatte. Mit Spitzen und Schleifen verziert, war es das teuerste Stück, das sie besaß. Doch nun kam es ihr schrecklich altmodisch vor.
„Beeile dich!“,drängte Vinia sie.„Auch wenn ich mein Nähzeug mitgebracht habe, bedeutet das nicht, dass ich den ganzen Tag Zeit habe. Mutter und ich fangen an, und dann musst du selbst weitermachen. Ich habe schon unzählige Ideen. Wie gut, dass Mutter nach mir geschickt hat!“
Lilly war sich ganz und gar nicht sicher, ob das gut gewesen war. Sie wusste, dass ihre Mutter ihre Schwester nur deshalb hatte holen lassen, weil sie selbst sich gesundheitlich nicht auf der Höhe fühlte. Doch wie viel Vinia tatsächlich zu Lillys Ausstattung beitragen würde, musste sich noch zeigen.
Lilly nahm ihre Schürze ab und ging mit ihrer Schwester die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.
Als Vinia ihren Kleiderschrank öffnete und einen Schritt zurücktrat, um den kümmerlichen Inhalt zu überblicken, stöhnte sie entsetzt auf. „Keines dieser Kleider kommt infrage“, verkündete sie.„Das sind alles Ausgeh- und Salonkleider. Wo sind deine Ballroben?“
Sie befanden sich dort, wo sie schon immer gewesen waren: ungenäht als Stoffballen in einer Ecke des Schranks. Bisher hatte es noch nie einen Anlass gegeben, die feinen Stoffe zu verwenden.
„Habe ich dir nicht einmal einen schönen dunkelblauen Seidenstoff geschenkt?“, wollte Vinia wissen. „Ist davon noch genug übrig, um eine lange Schärpe daraus zu machen? Ich liebe das Theatralische an Schärpen. Du nicht? Es ist so extravagant, sich eine Schärpe über den Arm zu legen – à la Amazone. Ich bin inzwischen natürlich eine langweilige alte Ehefrau geworden, aber dieser Stil würde dir sehr gut stehen, Lillith. Du hast die Figur einer Amazone.“
Damit wollte sie wohl sagen, dass ihr jeglicher weibliche Charme abging. Lilly kannte ihre Schwester nur allzu gut. „Wenn ich schon eine Schärpe tragen muss“, sagte sie, „dann würde ich eine halblange bevorzugen.“
„Da hast du vermutlich recht. Damit wird auch deine Größe nicht so betont.“
Sie würde dann auch nicht Gefahr laufen, darüberzustolpern, doch solche Bedenken wollte sie lieber nicht äußern. Wenn es um die höhere Gesellschaft und um Mode ging, verstand ihre Schwester keinerlei Spaß.
Sie wies auf das grau schimmernde Kleid, das Vinia unter all den anderen Kleidungsstücken in ähnlichen Farben überhaupt nicht aufgefallen war. „Ich dachte mir, dass einige Änderungen daran es ganz annehmbar machen könnten.“
Vinia wich entsetzt zurück. „Um Himmels willen! Das ist eine schreckliche Farbe für dich, meine Liebe. Weder die Farbe noch der Stoff noch die Spitze ist es, die ein Kleid zu einer eleganten Kreation machen. Das einzig Wichtige ist der Schnitt, und der …“, sie wies auf das Kleid,
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