HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
lassen, wenn Edgar mich heiratete. Er war jung und gutaussehend, und er besaß mehr Macht als dein Vater.
An jenem Tag, an dem ich dich schlug und mit meinem Ring schnitt, hatte ich eine Nachricht von Edgar erhalten, mich mit ihm zu treffen. In meiner Dummheit vergaß ich den Brief auf meinem Tisch, wo du ihn fandest. Du warst immer ein kluges Kind, und mit neun Jahren konntest du bereits gut lesen. Als du Edgars Schrift zu entziffern versuchtest, wurde ich wütend, da ich dachte, du könntest den Sinn begreifen.“ Traurig schloss sie die Augen. „Ich bekam Angst, und ich schlug dich aus Zorn. Später begriff ich erst, dass du gar nicht verstanden haben konntest, was du gelesen hattest. Durch meine Schuld wurdest du durch diese Narbe entstellt.“
„Nicht alle Narben sind sichtbar“, sagte er verbittert.
„Das weiß ich wohl. Warum wählte ich wohl ein Leben im Kloster? Ich büße für meine schrecklichen Sünden, für den Stolz und die Eitelkeit. Und für mein Versagen, was dich betrifft, mein Sohn.“
„Versagen“, sagte er heiser. „Bezeichnest du es wirklich so? War es nicht eher Mord?“
„Als du sechzehn Jahre alt warst und uns in der Kammer überraschtest, bekam ich schreckliche Angst, du würdest es deinem Vater sagen. Aber Edgar versicherte mir, dass sich alles zum Guten wenden würde, und ich glaubte ihm. Die ganzen Jahre über habe ich mich gefragt, was geschehen wäre, wenn ich es Raoul selbst erzählt hätte. Er könnte immer noch am Leben sein, und du …“
Isobol sah ihren Sohn so sehnsüchtig an, dass er sich abwenden musste.
„Erkennst du nun meine große Schuld? Ich jagte nur vergeblich den unerreichbaren Träumen nach, die man in meiner Jugend in mir geweckt hatte. Dennoch besaß ich so viel mehr als das. Ich hatte einen klugen, starken Sohn und einen Gemahl, der mich anbetete. Ich wäre geliebt worden und hätte sicher gelernt, selbst zu lieben. Doch ich warf dies alles einfach weg, um meinem sinnlosen Ehrgeiz zu dienen.“
Mittlerweile schluchzte sie hemmungslos und streckte die Hände nach ihm aus. „Ich bat Gott, dich zu mir zu bringen. Hoffentlich erhört er auch ein weiteres Gebet, denn ich flehe ihn an, dass du mir vergibst. Du bist mein einziges Kind. Bitte, Lucien, verzeih mir. Dann kann ich mir vielleicht eines Tages auch selbst vergeben.“
Lucien starrte sie fassungslos an. „Einige Dinge kann man nicht vergeben“, sagte er schließlich. „Dein rührendes Schauspiel kann meinen Vater leider nicht wieder zum Leben erwecken oder die elf Jahre ungeschehen machen, die ich in der Hölle verbracht habe. Du beweinst also deine Sünden in diesen kalten Mauern. Nun, selbst wenn man dich während all dieser Zeit gefoltert hätte, könnte dies das Leid nicht aufwiegen, das du verursacht hast. Wohlan, dann bereue nur weiter. Mir soll es recht sein.“
Er ging an ihr vorbei zur Tür und stürmte aus dem Kloster, vor dessen Toren Perry mit seinem Hengst wartete. Noch immer konnte er das Weinen seiner Mutter hören, das von den kalten Mauern widerhallte.
Agravar musste von Luciens Rückkehr erfahren haben, denn er war bereits in den Stallungen, bevor Lucien seinen Hengst abgesattelt hatte.
„Lucien“, begann Agravar.
„Ich werde nicht darüber sprechen“, sagte Lucien barsch, während er dem Blick seines Freundes auswich.
Der Nordmann sah zu, wie er das große Pferd versorgte. Dann trat er einen Schritt zurück. „Der Stellvertreter des Königs ist eingetroffen.“
Lucien sah überrascht auf. „So? Dann sollten wir ihn begrüßen.“
„Du verstehst nicht. Sie sind schon seit drei Tagen hier.“
„Und Lady Veronica?“, fragte Lucien vorsichtig.
„Sie ist bei Alayna.“ Zögernd fügte Agravar hinzu: „Veronica ist sehr unglücklich.“
Lucien biss die Zähne zusammen. „Es ist zwecklos, das Unvermeidliche noch länger hinauszuzögern. Wo sind sie?“
„Der Mann des Königs ist in der Halle, und die Damen sind es ebenfalls.“
Während sie über den Burghof gingen, forderte Lucien weitere Informationen von seinem Freund. „Was für ein Mann ist dieser Richter?“
„Er scheint dir nicht feindlich gesonnen zu sein. Im Gegenteil, er zeigt sich recht beeindruckt, nach all den glühenden Lobesreden, die er über dich gehört hat.“
„Ach wirklich? Und wer spricht so bewundernd von mir?“
„Deine Gemahlin, neben vielen anderen. Sie hat sich zu Wyndhams Führerin erklärt und zeigt ihm die Verbesserungen, die du der Grafschaft gebracht hast. Außerdem
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