HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
Gestalt. Lange ließ er seine Augen auf dem seidigen Schleier ihres Haares verweilen. Ein Rotschopf! Lettices Haar war auch rot gewesen, aber mehr ein brennendes Orangerot, während die Haarpracht des Mädchens dort unten eine Mischung aus Dunkelrot, Rostfarben und Zimtbraun war, üppig und leuchtend wie das Laub der Blutbuche. Solch eine wilde und zugleich sinnliche Schönheit, verbunden mit einer scheinbaren Unschuld, war eine Mischung, die jedem Manne zu Kopfe steigen musste – und die ihn selbst dazu bringen konnte, ihn zu verlieren.
Heywood bemerkte, wie Seraphina stehen blieb und zurückschaute, als fühle sie sich beobachtet. Vorsichtig zog er sich in den schützenden Schatten zurück, ohne von den beiden Frauen in der Halle entdeckt zu werden.
„Du hast nach mir geschickt, Mutter?“, sagte Seraphina und bedachte Lady Katherine, die unruhig vor dem riesigen steinernen Kamin an der Schmalseite der Halle hin und her ging, mit einem besonders flüchtigen Knicks.
Lady Katherine wandte sich so jählings um, dass der Saum ihres schweren Obergewandes aus Silberbrokat wie eine Sichel durch die auf dem gefliesten Boden verstreuten Kräuter fuhr und einen Duft nach Minze und Gartenraute hervorrief.
„Ich habe nach meiner Tochter, Lady Seraphina Carey, geschickt“, fuhr sie wütend auf, während sie die vor ihr Stehende musterte. „Und nicht nach einem unerzogenen Balg, das das Haar lose herabhängen lässt und ein Kleid trägt, das aussieht, als habe man es durch einen Kehrichthaufen gezogen.“
„Hat dieses unerzogene Balg denn wenigstens einen Gruß für seinen alten Onkel übrig?“
„Onkel Tom!“ Mit einem strahlenden Lächeln wandte sich Seraphina Lord Musgrave zu, der in diesem Augenblick die Halle von dem großen Empfangsraum her betreten hatte. Tom Musgrave war ihr immer der Liebste aus der ganzen Verwandtschaft gewesen. Während ihrer frühen Kindheit, als die Eltern sich in ihren Kummer um die früh verstorbenen Kinder vergraben hatten, brachte er bei all seinen Besuchen Lachen und Zuwendung in das totenstille Haus. Niemals erschien er ohne ein Geschenk: Spielzeug, Glitzerkram vom Jahrmarkt und von Zeit zu Zeit auch ein neues Pony. Und zudem hatte sie jederzeit einen Verbündeten an ihm.
Bei der Betrachtung dieser Szene stellte Heywood ungläubig fest, dass er im Augenblick zu keinem vernünftigen Gedanken fähig war außer der Feststellung, dass die junge Frau nahezu unwiderstehlich war, wenn sie auf diese Weise lächelte.
„Ich wusste gar nicht, dass du hier bist!“ Lachend flog Seraphina in die weit geöffneten Arme ihres Onkels. „Du weißt gar nicht, wie ich mich freue, dich zu sehen!“
„Ich wette, nicht halb so sehr wie ich“, erwiderte Lord Musgrave und drückte sie an seine Brust. Als Seraphina dabei zusammenzuckte, runzelte er die Stirn. „Hast dir wohl wieder einmal ein paar blaue Flecke geholt?“
So unbekümmert wie nur möglich erwiderte sie: „Ich fürchte, sogar ein paar Beulen, nachdem ich heute Nachmittag Jupiter über die Mauer nötigen wollte.“
Der Onkel lächelte verständnisvoll. „Ich habe dir doch gesagt, dass er noch ein oder zwei Jahre brauchen wird, bis er richtig zugeritten ist.“
„Es ist jetzt nicht die Zeit, um über Pferde zu debattieren, Tom!“, unterbrach ihn Lady Katherine mit zorniger Stimme.
Überrascht richtete Seraphina den Blick auf ihre Mutter. Lady Katherine liebte ihren Bruder sehr, und Seraphina hatte noch nie zuvor erlebt, dass sie ihn zurechtgewiesen hätte. Dass es ihr gelungen war, ihre Mutter dermaßen gegen sich aufzubringen, kam unerwartet für sie, obwohl es durchaus in ihrer Absicht gelegen hatte, sie etwas herauszufordern. Doch jetzt lag eine nie gesehene Kälte in Lady Katherines fahlgrünen Augen.
„Ich beginne mich zu fragen, ob dein Ehemann dich nicht zu Recht gezüchtigt …“
„Kate, wahrscheinlich ist alles ein Missverständnis … nur Geschwätz, nichts weiter“, unterbrach sie Lord Musgrave und fingerte dabei verlegen an seiner spitzenbesetzten Halskrause. „Wenn ich geahnt hätte, dass du auch nur für einen Moment diese Möglichkeit in Betracht ziehen würdest, hätte ich niemals die Rede auf Seraphinas Verletzungen gebracht. Aber da es womöglich auch Heywood zu Ohren kommen könnte …“
„Missverständnis oder nicht, ich will die Wahrheit wissen“, herrschte Lady Katherine die verstörte Seraphina an. „Jetzt ist Schluss mit dem unbestimmten Gerede über das, was zwischen dir und deinem Gemahl
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