Historical Exklusiv Band 06
nicht beklagt, aber sie plante bereits, für ein paar Tage zur Familie ihres Sohnes zu ziehen. Rosalind klopfte an die Tür.
"Herein!" erschallte die tiefe Stimme.
Rosalind trat ein. Zu ihrem Verdruss war der sonst allgegenwärtige Kapitän Delancey nicht anwesend, doch sie zeigte weder Zaudern noch Furcht. Ihr Gast würde zweifellos jeden einschüchtern, der nur die geringste Befangenheit erkennen ließ. Er saß auf dem Bett, angetan mit den einzigen verfügbaren Kleidungsstücken, einer schwarzen Hose und einem wattierten Lederwams über einem gefältelten weißen Hemd. Säuberlich aufgeschichtete Stöße von Papieren lagen vor ihm. Auf dem kleinen Tisch neben dem Bett herrschte ebenfalls mustergültige Ordnung. Rosalind näherte sich dem Stuhl, den er ihr anbot, zog es jedoch vor, dahinter stehen zu bleiben und die Hände auf die Rücklehne zu stützen.
"Guten Tag, Mistress Rosalind. Ich werde Euch nicht lange in Anspruch nehmen", sagte der Lord Lieutenant und betrachtete sie währenddessen eingehend von Kopf bis Fuß. "Ich möchte mich bei Euch für alles bedanken, einschließlich der sachkundigen Behandlung meiner Nase. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr eine Belohnung erhaltet."
"Ich erwarte keine Belohnung, Mylord, sondern nur eine ordnungsgemäße Bezahlung für Unterkunft und Verpflegung für Euch und Eure Männer. Und ich möchte Euch auch darauf aufmerksam machen, dass den Fischern, die Schiffbrüchige aus den Downs retten, eine kleine Gebühr zusteht."
Sie biss sich auf die Lippe, um der Versuchung zu widerstehen, noch etwas über die grausame Behandlung zu sagen, die den Leuten von Deal einmal durch seinen König zuteil geworden war. Es wäre nicht gut, diesen Mann wissen zu lassen, was sie über Seine Majestät dachte, insbesondere wenn er wirklich hierher gekommen war, um die Schmuggler aufzuspüren.
"Natürlich werde ich das alles erledigen", erwiderte er schroff. Sein Blick ruhte noch immer auf ihr, wie sie da unbeirrt hinter dem Stuhl verharrte. "Wart Ihr tatsächlich selbst mit unter den Rettern in dem kleinen Boot auf dem sturmgepeitschten Meer?" fragte er etwas freundlicher. "Ihr seht so … so zart aus, so zerbrechlich."
"Wie jemand aussieht, muss er nicht unbedingt sein, Mylord", erwiderte sie und hätte sich am liebsten die Zunge abgebissen. "Ich bin es mein Leben lang gewohnt, zu rudern und Fischernetze einzuholen. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass Frauen oder Schwestern die Plätze der Männer einnehmen, wenn diese nicht einsatzfähig sind."
Er hob die dichten Brauen. "Aber ich hörte, Ihr seid schon Witwe und habt auch keine Brüder?"
Rosalind stutzte. So hatte er also andere nach ihr ausgefragt! Sie verwünschte sich ob der Zuneigung und Freundlichkeit, die sie je für ihn empfunden hatte. "Ja", war alles, was sie sagte, und sie bemühte sich, seinen forschenden Blicken standzuhalten. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie sie selbst diesen Mann stundenlang betrachtet hatte, während er schlief, und eine leichte Röte stieg in ihr Gesicht.
"Nun zum Geschäftlichen. Ich brauche dieses Zimmer noch ein paar Wochen, bis meine Unterkunft in der Festung fertig ist."
"Es tut mir Leid, aber wir sind voll belegt, und dieses hier ist die Kammer meiner Tante. Sie ist zu alt, um jeden Tag die steilen Stiegen zur Mansarde emporzuklettern." Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Es war schon schlimm genug, den Lord Lieutenant hier zu haben, während er bewusstlos war. Im wachen Zustand könnte sie ihn nicht auf die Dauer ertragen! Nie zuvor war ihr ein Mann begegnet, dessen bloßer Blick eine solche innere Unruhe in ihr hervorrief.
"Wenn nicht diese Kammer, dann der Raum gegenüber, der wohl Euer Domizil ist, wie mir Kapitän Delancey sagte. Ihr seid doch jung genug zum Treppensteigen. Ich brauche einen Ort, um zu arbeiten und Beratungen abzuhalten. Selbstverständlich wird es Euch ansehnlich vergolten."
"Das ist keine Frage des Geldes, Mylord. Ich brauche mein Zimmer ebenfalls zum Arbeiten", fügte sie rasch hinzu.
"Dann lasst Eure Tante mit bei Euch schlafen. Ihr wisst, dass ich im Auftrag des Königs hier bin und Euer ganzes Wirtshaus mit Beschlag belegen könnte, wenn es der Sicherheit des Landes dienen würde."
Rosalind biss die Zähne zusammen. Er hatte sie in der Hand. Wenn sie es wagte, sich ihm weiterhin zu widersetzen, wäre er ohne Zweifel bereit, seine Drohung in die Tat umzusetzen.
"Ich würde großen Wert auf Euer Entgegenkommen legen", fuhr Spencer fort, "aber ich
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