Historical Exklusiv Band 06
Schnell wie der Blitz war die ganze Gesellschaft zur Tür hinaus, noch ehe der Wachsoldat aus der Kammer der Muhme zurück war.
Draußen peitschte der Wind ihnen Eiskörner ins Gesicht. Die kalte Luft tat bis in die Lungen weh. Gefrorenes Gras knackte unter ihren Füßen, als die Frauen zum Strand eilten. Jetzt hieß es für sie und ihre Begleiterinnen, die Franzosen in Empfang zu nehmen, die Waren auszuladen und zu verstecken. Der Rübenkeller in einer verlassenen Fischerhütte musste zunächst als Lagerraum herhalten, und der Transport dorthin würde die Kräfte der Frauen aufs Äußerste fordern.
Auf dem mit Matsch und Schnee bedeckten Strand lief dann alles planmäßig. Pierre Lyon und seine Leute kamen pünktlich. Sein begeistertes Lob spornte Rosalind an, als sie die gefährliche Situation erläuterte.
"Ah, es ist großartig von dir, selbst an den Strand zu kommen, um mich zu warnen so wie in jener Nacht in Boulogne, einfach großartig! Du sagst, dieses wütende Ungeheuer war der königliche Lord Lieutenant? Sacre bleu !"
In der Tat, dachte Rosalind und erinnerte sich daran, dass sie sich früher bemüht hatte, Pierres französische Flüche zu lernen.
Die Franzosen halfen noch beim Stapeln der Kisten und Ballen in dem nasskalten Sand. Dann jedoch bestand Rosalind darauf, dass sie auf dem schnellsten Wege wieder verschwanden. Pierres rauer Bart kratzte ihr die Wangen beim Abschiedskuss, ehe das Boot wieder in See stach.
Erleichtert blickte sie dem Segler nach, bis er in der Dunkelheit verschwand, und mahnte dann zur Eile bei der weiteren Ausführung ihrer Pläne. Mit einem Stück Treibholz verwischte sie die Spuren im Sand. Die Frauen luden sich ihre Lasten auf und begannen den Rückweg auf dem schmalen, gewundenen Pfad. Einige trugen Packen an Stäben, die sie über ihre Schultern gelegt hatten. Andere schleppten Kisten auf dem Rücken oder in Fischernetzen, die sie zu zweit hielten. Rosalind hob einen schweren, mit Sackleinen umkleideten Brokatballen auf ihre Schultern. Ein Siegestaumel ergriff sie und ließ ihr die Last leicht erscheinen. Nie war sie stolzer gewesen, wenn auch äußerste Not sie zu diesem Schritt getrieben hatte.
Dann aber brach das Unheil herein.
"Halt! Stehen bleiben!"
Nick! Nick war hier! Der Ballen rutschte von Rosalinds Schulter und fiel auf ihre Füße, als sie sich blitzschnell umdrehte. Nick und vier seiner Bewaffneten schienen den Klippen entsprungen zu sein, unter denen sie jetzt am liebsten verschwunden wäre. Ein großer schwarzer Umhang flatterte um seinen Rücken wie die Flügel einer riesigen Eule. Es war so dunkel, dass sie nicht sicher war, ob er sie erkannt hatte. Ihr Herz schien zu zerspringen wie die Brecher an den Felsen der Küste.
"Lasst die Beute fallen, Burschen, und kommt zurück an den Strand, alle!" erklang Stephen Delanceys Stimme von der Höhe. Mit furchtsamen Gesichtern versammelten sich die Frauen eilig um Rosalind. Noch mehr Bewaffnete tauchten hinter den Felsen auf, wohl an die zwanzig.
Zwei Männer stellten sich mit dem Rücken gegen den Wind, rissen einen Feuerstein an und entzündeten eine Laterne, dann noch eine. Rosalind verharrte regungslos, der Ballen an ihre Knie gelehnt, als solle er sie stützen.
Sie waren mit dem Schmuggelgut erwischt worden, verdammt noch einmal! Nun war es zu spät, um sich als Retter in Seenot auszugeben. In ihrer Verzweiflung hatte sie alle diese vertrauensseligen Frauen mit in ihr Unglück gelockt. Wie mussten diese sie nun hassen! Es gab keinen Ausweg mehr. Ihnen blieb nur das volle Geständnis und die Unterwerfung auf Gnade und Barmherzigkeit und ihre Hoffnung, dass Nick sie die Schuld allein tragen ließ und die anderen freigab.
"Ich sagte Euch ja, dass sich die ständige Beobachtung des Strandes eines Tages auszahlen würde", hörte sie Nicks triumphierende Stimme. Er stand etwas abseits, doch der Seewind trug die Worte bis zu ihr. "Die Wachen haben uns zu spät verständigt, um auch die französischen Lieferanten noch zu ergreifen, aber zumindest die Leute aus Deal sind uns ins Netz gegangen. Allerdings sind es nicht die großen, stämmigen Kerle, die ich erwartet habe." Mit ein paar Schritten war er bei den Frauen und zog ihnen Hüte und Kapuzen vom Kopf. "Die Burschen sind weiblichen Geschlechts, Männer, und ohne Zweifel werden wir auch ihren Anführer unter ihnen finden. Tretet vor, Mistress Barlow!"
Nicks scharfe Augen hatten die Gestalt herausgefunden, die er suchte. Er kam auf sie zu und zog sie
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