Historical Exklusiv Band 06
letzten Satz kaum ausgesprochen, da erkannte sie, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Straithe kniff die blauen Augen zusammen. Er straffte die Schultern unter dem weißen Leinenhemd. Obwohl er seine lässige Haltung nicht veränderte, hatte Sarah das unbehagliche Gefühl, einem Tiger gegenüberzusitzen, der sich zum Angriff bereitmachte.
"Das ist jetzt das zweite Mal, dass du mir unterstellst, mein Wort nicht zu halten."
"Ich wollte dich nicht beleidigen."
"Ach nein?"
"Nein!"
Eine Weile lang herrschte eine angespannte Atmosphäre in der Messe, die nur von dem Knarren des Holzes und dem leisen Plätschern der Wellen gegen den Schiffsrumpf unterbrochen wurde. Während dieser unbehaglichen Stille haderte Sarah mit sich selbst. Sie hatte den besonderen Ehrenkodex des Kapitäns nicht bedacht. Auch wenn er ein Schmuggler war, sich Konkubinen hielt und der guten Gesellschaft eine lange Nase drehte, so hielt er sich doch an ein einmal gegebenes Versprechen.
Sarah hingegen wollte gar nicht, dass er dieses eine Versprechen hielt. Wenn sie Abigail die Möglichkeit einer vorteilhaften Heirat offen halten und den Jungen eine gute Zukunft sichern wollte, so durften die Abernathys nicht unter dem Schutz eines berüchtigten Schmugglers und Freigeists in England eintreffen.
"Wir möchten nicht, dass du dich mit uns belastet", meinte sie und versuchte, verlorenen Boden zurückzugewinnen. "Ich werde Lord Blair bitten, uns für die Heimreise einen Platz an Bord eines Ostindienschiffes zu beschaffen. Ich bin sicher, er wird das tun."
Sie hatte gehofft, das würde James beruhigen, doch das Gegenteil war der Fall. Seine Züge wirkten sogar noch härter, falls das überhaupt möglich war. Er drehte den Portwein in seinem Kelch und sah sie dann mit einem Blick an, der deutlich zeigte, dass er jetzt auf jede höfliche Verstellung verzichtete.
"Ich verstehe. Du willst nicht, dass deine Geschwister auf einem Schiff segeln, das Pelze und Sandelholz schmuggelt."
Seine Bemerkung traf so genau ins Schwarze, dass sie tief errötete. Jetzt gab es für sie keine Ausflüchte mehr. "Nein, das möchte ich nicht."
"Und doch würdest du sie auf einem Schiff nach Hause bringen wollen, dessen Frachtraum bis obenhin mit Teekisten voll gestopft ist, die mit Opium bezahlt wurden."
Das saß. Unglücklicherweise gab es darauf auch nichts mehr zu sagen.
Während die Frau ihm gegenüber nach einer passenden Antwort suchte, stellte James sein Glas ab und erhob sich. Das Vermächtnis, das Abernathy ihm übertragen hatte, gefiel ihm genauso wenig wie dessen Tochter. Aber noch weniger gefiel ihm die Art, wie sie sein Versprechen zurückgewiesen hatte.
Dennoch hatte er damit gerechnet. Inzwischen kannte er die widerspenstige Frau, die sich auf sein Schiff geschlichen, seine Kabine beschlagnahmt und seine Mannschaft in Aufregung versetzt hatte, gut genug, daher hatte er beinahe erwartet, dass sie sein Angebot, das widerstrebend gegebene Versprechen zu erfüllen, zurückweisen würde. Doch er hatte nicht erwartet, dass sich in ihm der Wunsch regte, die Traurigkeit aus ihren Augen zu vertreiben.
Gestern und heute hatte er ihre Zurückgezogenheit respektiert. Als die Küste von Fukien aus der Sichtweite verschwunden war und die Phoenix das offene Meer erreicht hatte, hatte er darauf gewartet, dass sie die Kabine verließ und den ersten Schritt unternahm, mit ihm über das zu sprechen, was zwischen ihnen stand. Als sie am Nachmittag endlich ihren Platz auf der Bank leeseits eingenommen und ihr Gesicht in die Sonne gehalten hatte, hatte es ihm einen Stich versetzt, sie so bleich zu sehen. Er war genauso versessen darauf, sie zu trösten, wie John Hardesty, der ihr Tee und Zwieback brachte. Er zögerte, sie zu stören, genau wie Henry Fulks, der Schiffsjunge, der ihr scheu anbot, einen Schirm zu errichten, um sie vor dem Salzwasser zu schützen, und genauso besorgt wie Liam Burke, der die dunklen Ringe unter Miss Sarahs Augen bemerkte.
Die waren auch noch immer da, aber die Traurigkeit war verschwunden, als sie sich jetzt ebenfalls erhob, entschlossen, bei der Frage des Transports zurück nach England ihren Willen durchzusetzen.
James war mindestens ebenso entschlossen. Ihm gehörten nicht mehr viele Dinge, die etwas wert waren, nur noch sein Schiff und sein Wort.
"Ich sagte deinem Vater, ich würde dich heimbringen, und das werde ich auch tun."
Sie wurde hochrot vor Zorn. In dem geborgten weißen Hemd, der bestickten Weste und der weiten blauen
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