Historical Exklusiv Band 06
tiefer ins Fleisch.
"Du hast bereits bewiesen, dass dir meine Küsse gefallen, Sarah. Vielleicht solltest du mich überzeugen, dass du auch die anderen Intimitäten zu schätzen weißt, die zu einer Ehe gehören." Er stützte eine Hand gegen das Schott, nur eine Spanne breit von ihrem lockigen Haar entfernt. "Nur, damit mir die Wahl zwischen den Schwestern ein wenig leichter fällt, du verstehst?"
Trotz der geschulten Reflexe, die ein Dasein unter ständig drohender Lebensgefahr so mit sich brachte, war James auf diesen Hieb nicht gefasst gewesen. Sie schlug mit ihrer Hand hörbar und kraftvoll auf seine Wange.
"Sie, Sir, sind verachtenswert!"
Er trat einen Schritt zurück und rieb sich die Wange. Hölle und Teufel, diese Frau verfügte über einen festen Schlag. Das durfte er in den kommenden Wochen auf keinen Fall vergessen.
"Jawohl, Süße, das bin ich. Aber ich bin auch der Mann, dem dein Vater seine Tochter zur Frau geben wollte. Eine seiner Töchter. Du solltest dich lieber in deinem Benehmen ein wenig zurückhalten, wenn du willst, dass ich dich erwähle."
"Wenn ich will, dass …?" stieß sie hervor. Allmählich geriet sie außer sich. "Du … du … du überheblicher Nichtsnutz! Feiger Bastard! Du haifischäugiger Sohn einer …"
Dem überraschten Ausdruck auf ihrem Gesicht konnte er entnehmen, dass sie genauso verblüfft war wie er, die Lieblingsflüche der Mannschaft auf einmal aus ihrem Mund zu hören. Sie errötete zutiefst, doch sie wandte den Blick nicht von ihm ab.
James schaffte es kaum, ernst zu bleiben und die Arme nicht nach ihr auszustrecken. Alles in ihm sehnte sich danach, das Feuer anzufachen, das unter ihrem braven Äußeren glühte, sie in die Arme zu ziehen und sie zu küssen, bis sich alles um sie drehte. Stattdessen spitzte er die Lippen und ahmte ihre missbilligende Miene von vorhin nach.
"Ich sehe, ich muss mit meiner Mannschaft ein ernstes Wort sprechen, ehe Abigail und die Jungen an Bord kommen. Ich will nicht in England ankommen mit einer Frau, die wie ein Matrose flucht."
"Du wirst in England mit überhaupt keiner Frau ankommen", versicherte sie wütend. "Nicht, solange ich dabei noch ein Wörtchen mitzureden habe."
James konnte sich nicht länger zurückhalten. Er strich ihr mit dem Handrücken über die Wange und schoss seinen letzten Pfeil ab. "Du hast dabei einiges mitzureden, das versichere ich dir. Zeig, dass du willig bist, süße Sarah, und ich werde dich erwählen."
Mit einem empörten Aufschrei stieß sie seinen Arm zur Seite und rauschte aus der Messe. Einen Augenblick später wurde die Tür zu ihrer Kabine zugeschlagen.
James hakte die Daumen wieder in seinen Gürtel und sah ihr nach. Nun, er hatte sein wichtigstes Ziel erreicht. Er hatte die Traurigkeit aus Sarahs Augen vertrieben. Und dabei hatte er gleichzeitig das Feuer entfacht, das sie vor dem Rest der Welt so geschickt zu verbergen wusste.
Jetzt musste er nur noch verhindern, dass das Feuer in den kommenden Wochen zu einem Großbrand wurde.
Die Verzierungen aus Messing und Mahagoni in der Kapitänskajüte schienen vor Sarahs Augen zu tanzen. Ihre Lungen schmerzten, und ihre Brust bebte. Sie, die ruhige, empfindsame Miss Abernathy! Die ausgeglichene, verantwortungsbewusste ältere Schwester, an die die Jüngeren sich stets wegen eines Rates oder mit der Bitte um Trost wandten. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal auch nur annähernd so heftige Empfindungen gespürt hatte wie jetzt, aber wenn Straithe in diesem Augenblick noch einmal vor ihr stünde, dann würde es ihr große Befriedigung bereiten, ihm noch einmal mit aller Kraft ins Gesicht zu schlagen.
Wie konnte er es wagen, ihre Wünsche einfach so beiseite zu wischen? Wie konnte er nur denken, dass sie – oder Abigail, ausgerechnet die süße, so zarte und hochsensible Abigail! – sich Papas letztem Wunsch fügen würde, nach dem seine Tochter James Kerrick, Viscount Straithe, heiraten sollte?
Seine Tochter!
Sarah durchschritt die Kabine und ließ sich auf einen der Stühle am Tisch fallen. Die Schiffslaterne, die Henry Fulks schüchtern vor etwa einer Stunde für sie entzündet hatte, pendelte über ihrem Kopf hin und her. Schatten huschten im schaukelnden Rhythmus des Schiffes über die Wände. Geistesabwesend trommelte sie mit den Fingern auf die Stuhllehne.
Der bloße Gedanke, dass eine Abernathy einen Straithe heiraten sollte, war schon absurd. Noch absurder war Straithes Vorstellung, er könnte zwischen den
Weitere Kostenlose Bücher