Historical Exklusiv Band 06
holen, vorausgesetzt, du könntest mir helfen."
"Wenn ich es könnte? Das genügt nicht."
"Das ist alles, was ich versprechen werde, Süße."
"Aber …"
Er drückte ihre Arme fester. "Kein Aber, Sarah. Und keine Heldentaten. Spring nicht über die Reling, und wirf nicht mit Steinen nach dem Feind. Hörst du? Schwöre es."
"James …"
Er schüttelte sie ganz leicht. "Schwöre es, Liebste, damit ich dich zum Abschied küssen und dich dann in deine Kuhle legen kann."
Dem entschiedenen Ausdruck in seinem Gesicht konnte sie entnehmen, dass er sie zweifellos bewusstlos schlagen würde, wie sie es vor nur wenigen Stunden mit ihm vorgehabt hatte, wenn sie ihm nicht ihr Wort gab.
"Ich schwöre es", flüsterte sie.
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er sich bückte und sie küsste. Sehr heftig küsste. Sie taumelte noch, als er den Kopf wieder hob.
"Ich werde dich holen, falls – wenn es sicher genug für dich ist. Bis dahin halte dich versteckt. Welche Rufe oder Schreie du auch hören magst, halte dich versteckt, bis du hörst, dass ich deinen Namen rufe."
Dann küsste er sie noch einmal, schob sie in die Kuhle und bedeckte sie mit Zweigen und Palmwedeln.
Sarah hatte das Gefühl, zwei Menschenleben in dem flachen Loch verbringen zu müssen. Das erste verbrachte sie damit, zu beten und auf fremde Geräusche zu lauschen. Auf irgendwelche Geräusche. Das Rasseln einer Ankerkette. Das Platschen von Ruderschlägen. Und vor allem, James' Stimme, wenn er ihren Namen rief.
Dazu kam, dass die Sonne langsam höher stieg und es immer heißer wurde. Das schwarze Kleid klebte an ihrer Haut. Schweiß lief über ihr Gesicht und ihren Hals. Kleine Insekten summten um ihren Kopf, ihre Arme, ihre Schultern. Etwas glitt durch die Blätter, die die Öffnung ihres Verstecks abdeckten, und ihr Magen zog sich zusammen.
Sarah hätte all diese Unbequemlichkeiten gern ertragen, wenn sie nur etwas gehört hätte.
Irgendetwas!
Sie war überzeugt, dass es Stunden her war, seit James sie verlassen hatte. Furcht überkam sie. Die Sorge um sein Schicksal nagte an ihr.
Sie konnte nicht hier bleiben. Sie konnte es einfach nicht. Sie musste zu ihm gehen. Sie musste bei ihm bleiben. Sie hielt ihr Wort nicht so hoch wie er das seine. Sie zerrte bereits an den verschiedenen Schichten, die ihr Versteck bedeckten. Sie musste ihm helfen. Sie musste …
"Sarah!"
Zuerst meinte sie, sich diesen Ruf aus der Ferne nur eingebildet zu haben. Dass ihr überhitzter Verstand und ihr gemartertes Herz ihn aus reiner Verzweiflung erfunden hatten. Halb hatte sie sich schon aus dem Loch gezwängt und lauschte nun mit gespannten Nerven.
"Sarah! Es ist sicher. Komm heraus."
Gott sei es gedankt! Den Engeln und Erzengeln auch. Schluchzend dankte sie jedem himmlischen Wesen, zu dem sie in den letzten verzweifelten Stunden gebetet hatte, und kletterte nach draußen.
Sie hatte sich gerade von den Blättern befreit, als sie James erblickte. Sarah erhob sich und machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu. Der Anblick des Mannes hinter ihm, der einen blauen Uniformrock mit den goldenen Epauletten der Königlichen Marine trug, ließ sie innehalten.
Der Offizier blieb ebenfalls stehen. Als er Sarah entdeckte, wären ihm beinahe die Augen aus dem Kopf gefallen. Hätte sie sich um derlei Dinge gekümmert, so wäre sie vielleicht besorgt gewesen wegen des Anblickes, den sie bot – aufgetaucht scheinbar aus dem Nichts, wie ein Geist, der sich aus dem Grab erhob, das Gesicht schmutzverschmiert, mit wirrem Haar und einem Kleid, das von grünem Moos bedeckt war.
So starrte Sarah den fremden Mann nur an, genauso sprachlos wie er. Er repräsentierte die Zivilisation, die Rückkehr zu ihrem früheren Leben. Abwechselnd überkamen sie Erleichterung, Bedauern und die vertraute Sorge um ihre Familie, so dass sie nichts tun konnte, nur wie angewurzelt dastehen.
James trat vor, um die Stille zu durchbrechen. Mit einer schwungvollen Geste verbeugte er sich.
"Sarah, darf ich dir Lieutenant Sir George Fortengay vorstellen, dritter Offizier auf Seiner Majestät Schiff Constant und der unbequemste junge Offizier, den ich jemals das Unglück hatte, unter meinem Befehl zu haben."
Wenn James' heitere Vorstellung sie schon in Erstaunen versetzte wegen dieses unerwarteten Zufalls, so schockierten seine nächsten Worte sie geradezu. Er trat an Sarahs Seite, nahm ihre Hand und zog sie, schmutzig wie sie war, an seine Lippen. Dann hob er den Kopf, um die Vorstellung zu
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