Historical Exklusiv Band 36
Zofe stieg wie befohlen in die Kutsche, die sie mit Hardraw, dem Diener Seiner Lordschaft, teilen würde. Grau livrierte Lakaien nahmen ihre Plätze ein, und die Kutschen mit den kraftvollen Gespannen aus genau zusammenpassenden Grauschimmeln setzten sich in Bewegung.
Dies war die längste Reise, die Catherine jemals gemacht hatte, und sie war aufgeregt wie nie zuvor. Andererseits erfüllte sie aber auch Trauer darüber, London verlassen zu müssen. Sie hatte ihr ganzes Leben in London verbracht, genau wie ihre Freunde. Wann würde sie Liza wiedersehen? Womöglich erst in Monaten oder Jahren, denn Yorkshire war viel zu weit von London entfernt, um schnell mal einen Besuch zu machen.
Sie würde sie so sehr vermissen! Unter Lizas nach außen zur Schau getragener Zerstreutheit waren ein kluger Kopf und ein gutes Herz verborgen. In all den einsamen Jahren seit dem Tod von Catherines Eltern war sie ihre Vertraute gewesen. Und die glückliche Liza hatte einen Ehemann, der sie anbetete!
Catherine presste eine Wange gegen die Fensterscheibe und betrachtete die vorbeiziehende Szenerie, während die Kutsche durch die Straßen fuhr, in denen geschäftiges Treiben herrschte. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Catherine versuchte, sie möglichst unauffällig mit ihrem winzigen Spitzentaschentuch wegzutupfen. Aber auf die erste Träne folgte eine Zweite, und schon bald war das Taschentuch durchgeweicht.
Catherine steckte es in ihr Retikül und versuchte, das Schluchzen zu unterdrücken. Da blitzte etwas Weißes am anderen Ende der Kutsche auf. Sie drehte den Kopf etwas in diese Richtung und sah, dass ihr ein großes weißes Leinentaschentuch angeboten wurde.
Catherine nahm es und bedankte sich mit erstickter Stimme. Während sie sich die Nase putzte, spürte sie die Wärme einer kräftigen Hand auf ihrem Knie. Caldbeck sagte nichts, nahm seine Hand aber erst wieder weg, als sie London hinter sich gelassen hatten. Schließlich hatte sie sich beruhigt, und die Tränen waren versiegt. Von da an zeigte er ihr die Besonderheiten der Gegend, durch die sie fuhren, und lenkte ihre Aufmerksamkeit ebenso auf die herbstliche Farbenpracht wie auf die Schönheit der Landschaft.
„Zumindest bisher sind die Straßen besser, als ich gehofft hatte. Ich fürchte allerdings, dass ihr Zustand sich verschlechtern wird, je weiter wir nach Norden kommen.“
„Wie lange werden wir unterwegs sein?“
Caldbeck rückte zur Seite und lehnte sich behaglich gegen die Samtpolsterung in seiner Ecke. Catherine machte es sich ebenfalls bequem.
„Normalerweise vier Tage. Falls die Straßen sehr schlecht sind, wohl auch einen Tag länger. Wenn Sie möchten, könnten wir in der Nähe des Peak District eine Pause einlegen. Er bietet zu dieser Jahreszeit einen sehr gefälligen Anblick.“
Einen gefälligen Anblick. Catherine lächelte vor sich hin. Seine Lordschaft neigte wahrhaftig nicht zu Übertreibungen. Wenn sie darüber nachdachte, war „bewundernswert“ eigentlich die überschwänglichste Formulierung, die sie je von ihm gehört hatte. Damals hatte sie es nur für ein höfliches Kompliment gehalten, aber im Nachhinein gewann die Bemerkung eine andere Bedeutung.
„Sie scheinen schöne Anblicke sehr zu schätzen.“
Caldbeck dachte einen Moment nach.
„Ja, das stimmt.“
Wieder herrschte Schweigen. Weiter war sie mit ihrem Versuch, ein Gespräch zu führen, nicht gekommen. Catherine nahm einen zweiten Anlauf.
„Ist Wulfdale ein schön gelegenes Anwesen?“
„Ich denke schon.“
Sie wartete kurz und seufzte dann. „Erzählen Sie mir bitte mehr darüber.“
Nach einiger Weile nickte Caldbeck. „Das Haus ist sehr alt und im Laufe der Zeit öfter erweitert worden, wobei einige Anbauten besser gelungen sind als andere. In den Ursprüngen ist es ein Wehrturm aus dem zwölften Jahrhundert. Später wurde er um eine Halle erweitert, und im Laufe der Jahrhunderte hat man mehrere Anbauten hinzugefügt. Die Teile, die aus der Tudorzeit stammen, bilden ein richtiges Labyrinth, wohingegen die neueren Erweiterungen geschmackvoller sind. Die georgianische Fassade wurde 1750 fertiggestellt und ist recht eindrucksvoll. Ich denke, es wird Ihnen zusagen.“
Nun ja dachte Catherine, das ist doch schon ein Fortschritt.
„Gibt es auch Gartenanlagen?“
„Ja, in der Tat, es sind einige vorhanden.“
Klang seine Stimme nicht etwas wärmer? Catherine war sich nicht sicher.
„Wir haben einen Obst-, einen Rosen- und
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