Historical Exklusiv Band 36
konnte.
Niemand hatte sie in die Arme genommen, wenn sie weinte.
Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten und schluchzte hemmungslos. All die Verletzungen durch Gleichgültigkeit, Zurückweisungen und Herzlosigkeit, die sie lange vergessen geglaubt hatte, schmerzten wie am ersten Tag. Sie konnte nicht aufhören, Tränen zu vergießen. Wenn sie glaubte, sich ausgeweint zu haben und endlich aufatmen zu können, tauchten wieder Bilder aus der Vergangenheit auf, und sie wurde erneut von ihren Gefühlen überwältigt.
Sie spürte, dass ihr Mann sie sanft in den Armen wiegte. Von wohliger Wärme durchströmte kräftige Arme, in denen sie geborgen war. Sie wurde gewiegt wie ein Kind. Catherine wollte diesen angenehmen Gedanken beiseiteschieben, konnte es aber nicht. Sie brauchte so dringend Trost. Welch eine Überraschung, dass gerade der wortkarge Earl of Caldbeck ihn ihr geben konnte.
Schließlich versiegten die Tränen, und es ging ihr wieder besser. Völlig erschöpft lag sie entspannt an ihn gekuschelt, und nach kurzer Zeit war sie eingeschlafen. Sie schlief so fest, dass sie nicht einmal aufwachte, als er sie ins Bett trug und sich neben sie legte.
Leise legte Charles seine Sachen ab, nahm Catherine daraufhin aber gleich wieder in die Arme und hielt sie fest umschlungen. Ihr Schmerz ließ alte Erinnerungen in ihm wach werden. Er dachte daran, wie er am Abend nach der Beerdigung seiner Mutter auf dem Schoß seines Vaters gesessen hatte. Keiner von beiden hatte geweint – Männer durften nicht weinen –, und sie hatten geschwiegen. Aber die starken Arme, die ihn hielten, waren ihm ein Trost gewesen, hatten ihm Schutz geboten. Catherine hatte so etwas nie gekannt. Charles war froh, dass er ihr wenigstens jetzt helfen konnte.
Sein Vater hatte seinen Schmerz wortlos ertragen. Nach dem Tod von Charles’ Mutter hatte er nicht mehr gelacht oder geweint, sein Frohsinn war verschwunden, aber auch der Zorn hatte ihn nie mehr gepackt. Doch selbst in seiner tiefsten Niedergeschlagenheit hatte er niemals seine Kinder im Stich gelassen. Er war immer für sie da gewesen bis zu seinem Tod.
Schon als Junge hatte Charles danach gestrebt, ein Mann zu sein, wie sein Vater es gewesen war.
Einige Tage später stellte Catherine Charles eine Frage, über die sie sich schon länger den Kopf zerbrochen hatte. „Was meinst du, wäre es nicht am besten, in den Londoner Zeitungen Anzeigen aufzugeben, um geeignetes Personal für mein Waisenhaus zu finden?“
Charles dachte kurz nach. „Nun ja, wenn du einen Hauslehrer einstellen willst, wirst du ihn wohl in London suchen müssen. Ich bin mir allerdings gar nicht sicher, ob du ihn tatsächlich brauchst. Sonst dürfte es nicht schwierig sein, das nötige Personal hier in der Gegend zu finden.“
„Aber ich kenne hier niemanden.“
„Natürlich nicht, doch das ist kein Problem. Sprich doch einfach mit Mrs Hawes darüber. Du kannst sicher sein, dass es mehr Bewerberinnen gibt, als du dir vorstellen kannst. Und außerdem kann Richard dich unterstützen. Er wird dir gern dabei behilflich sein, die Anzeigen, die du aufgeben möchtest, nach London zu schicken. Meine Hilfe wirst du nicht brauchen. Ich habe mehr als genug mit der Renovierung des alten Herrenhauses zu tun.“
Er hatte nicht zu viel versprochen. Jeden Tag erschien eine andere Frau auf Wulfdale, um sich für die Stelle der Hausmutter in dem neuen Waisenhaus zu bewerben, von den Bauern ganz zu schweigen, die gern die Verwaltung des Gutes übernommen hätten. Catherine machte sich voller Schwung an die Arbeit.
Sie konnte die besten Bewerber auswählen und gleichzeitig die Bewohner von Wulfdale kennenlernen. Dazu kamen noch die Vorbereitungen für den Empfang. Ihr blieb also keine Zeit, sich einsam oder gelangweilt zu fühlen. Mit Richard zusammen machte sie lange Listen und er verschickte viele Briefe und Einladungen.
Eines Tages – Charles und Catherine waren gerade dabei, über die Arbeiten am Waisenhaus zu sprechen – erschien Hawes, um Besucher anzukündigen. Helen und Adam Barbon betraten den Salon.
„Welch eine Freude, euch zu sehen!“ Catherine reichte ihrer Schwägerin die Hand. Zur Begrüßung gab Helen ihr einen Kuss auf die Wange. „Wann seid ihr in Yorkshire eingetroffen?“
„Vor einigen Tagen. Adam hat mich begleitet.“
Catherine ahnte sofort, was diese Antwort bedeutete. Charles’ Schwester und sein bester Freund schienen mehr als nur flüchtige Bekannte zu sein.
Charles wollte Adam per
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