Historical Exklusiv Band 36
Er war sehr jung – Ende zwanzig. Ich glaube, er hat sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Er war damals unsterblich verliebt und musste dann feststellen, dass das Mädchen seine Gefühle nicht erwiderte. Es war sein Geld, an dem die junge Dame interessiert war.“
„Du meine Güte, wie traurig.“ Catherine fiel ein Stein vom Herzen.
Helen fuhr fort: „Das warf sie ihm an den Kopf, als er sie mit einem anderen Mann ertappte. Es gab ein Duell, aber …“
„Ein Duell! Charles? Wurde Charles … hat er …?“
Helen schüttelte den Kopf. „Der andere Mann hat danebengeschossen. Er war nervös und zielte nicht gut genug. Charles hätte ihn ohne Weiteres töten können, aber er verzichtete darauf. Er hatte erkannt, dass sie es nicht wert war, ihretwegen einen Menschen zu töten. Aber die ganze Sache hat ihn zutiefst verletzt.“
„Natürlich. Er hat Gefühle, obwohl ich zugeben muss, dass es schwierig ist, das zu erkennen. Jetzt verstehe ich so manches … Deshalb hat er also sein Geld eingesetzt, um mich für sich zu gewinnen, und nicht seinen Charme. Wenn ich ehrlich bin, hätte sein Charme damals wenig Eindruck auf mich gemacht. Erst wenn man ihn besser kennt, merkt man, wie liebenswürdig er sein kann. Und jetzt kenne ich ihn schon sehr gut.“ Unwillkürlich spürte Catherine, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
Ihre Schwägerin tat so, als bemerkte sie es nicht. Sie reichte Catherine den Teller mit Teegebäck. Catherine schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich habe eine kleine Magenverstimmung.“
„Du siehst blass aus. Fehlt dir etwas?“
„Nein, ich fühle mich in letzter Zeit nur etwas müde. Ich weiß nicht, warum. Sonst sprühe ich nur so vor Energie. Vielleicht liegt es am Wetter.“
„Schon möglich.“ Helen zuckte die Schultern und fügte unverblümt hinzu: „Oder du bekommst ein Kind.“
„Wie bitte?“
Catherine hatte gerade ihre Teetasse zurück auf den Tisch stellen wollen. Jetzt klapperte sie bedrohlich auf der Untertasse, und Helen nahm sie ihr schnell aus der Hand, ehe sie umkippen konnte.
„Ich meinte, vielleicht …“ Helen zog die Brauen hoch. „Catherine ist alles in Ordnung?“
„Nein. Das heißt, ja, natürlich. Ich meine … ich habe doch nicht zugenommen …!“
Helen war ganz verblüfft, sie so bekümmert zu sehen. „Was ist denn, Catherine?“
„Nichts. Gar nichts. Das kann nicht sein. Morgen geht es mir wieder besser.“ Catherine versuchte verzweifelt, sich auf ein unverfängliches Thema zu besinnen, aber sie konnte nicht mehr klar denken.
Helen rettete die Situation und begann, von alltäglichen Begebenheiten aus der Nachbarschaft zu erzählen. Catherine antwortete zerstreut, und es dauerte nicht lange, bis sie sich für den Tee bedankt und verabschiedet hatte. Helen sah verwirrt und besorgt aus, aber es war Catherine unmöglich, etwas über ihre Gefühle zu sagen.
Sie war sich ja nicht einmal selbst darüber im Klaren.
Auf dem Heimweg in der Kutsche wurde ihr wieder übel. Sie öffnete das Fenster, sodass die kalte Luft hereinströmen konnte. In anderen Umständen. Das konnte doch nicht sein!
Warum eigentlich nicht?
Wenn sie an all die leidenschaftlichen Umarmungen mit Charles dachte, war es sogar sehr wahrscheinlich. Es ist nur seltsam, dass ich nicht zugenommen habe. An diese Möglichkeit hatte sie nie denken wollen. Ihre monatliche Unpässlichkeit war seit ihrer Hochzeit manchmal ausgeblieben, aber sie hatte gemeint, der Grund dafür wären all die Veränderungen.
Sie war guter Hoffnung! Catherine barg das Gesicht in den Händen. Ein Baby. Ein Kind. Ein neues Wesen wächst in mir. Es ist geschehen. Das, wovor ich Angst gehabt habe, seit ich erwachsen bin. Ich bekomme ein Kind.
Sie hob den Kopf und tupfte sich die Tränen von den Wangen. Sie hatte gedacht, sich mit dieser Möglichkeit abgefunden zu haben, als sie Charles’ Antrag angenommen hatte. Mit ganzem Herzen hatte sie seine Leidenschaft erwidert und jeden Augenblick genossen. Jetzt, angesichts der Realität, ergriff sie Entsetzen.
Wenn sie nun im Kindbett stürbe? Was war, wenn Charles kein Interesse an dem Kind zeigte? Wenn niemand da war, der das arme Baby liebte? Sie musste schluchzen. Charles und sie würden womöglich beide sterben. Der Gedanke war einfach unerträglich. Sie weinte jetzt herzzerreißend. Gott konnte doch nicht so grausam sein. Gewiss nicht!
Aber er hatte es auch zugelassen, dass ihre Eltern starben, obwohl sie beide so sehr brauchte. Und die Eltern zahlloser
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