Historical Exklusiv Band 36
Blick. „Ich habe nur noch einige Zeilen zu schreiben. Dieser Brief ist für meine Mutter bestimmt, ihr meine Heirat anzukündigen. Ich möchte ihn noch diesen Morgen auf den Weg bringen. Es wird nicht lange dauern.“
Die Feder flog nur so über die Seite. Nur hie und da hielt er kurz inne. Genevra beobachtete ihn, unfähig, den Blick von ihm zu lassen.
Er war wie ein Burgherr gekleidet an diesem Morgen, nicht wie ein Ritter. Er trug ein langes fellgefüttertes Gewand in dunklem Nachtblau, dessen Saum sich jetzt neben seinem Stuhl auf dem Boden ausbreitete. Auf dem Haupt trug er ein Barett mit einer schmalen Krempe in derselben Farbe, nur einige Strähnen seines goldfarbenen Haares lugten darunter hervor. Sein Anblick ließ noch immer ihren Atem stocken.
Sie hoffte, dass sie passend angezogen war. Sie hatte sich für das Kleid entschieden, das sie von Hannah erhalten hatte. Es war gut genug für das Turnier gewesen und sollte es auch jetzt sein. Das Pelzfutter des Mantels mochte zwar ein wenig warm sein für die Räume der Burg, doch in den Burghöfen wehte ein kalter Wind. Auch konnte sie das Kleidungsstück ablegen, wenn es nötig war.
Meg hatte ihr langes Haar zu Zöpfen geflochten und sie oberhalb der Ohren festgesteckt. Es wurde von einem Haarnetz gehalten, dessen goldene Fäden in der Sonne glitzerten und leuchtende Reflexe auf ihr Haar warfen. Sie musste sich eingestehen, dass sie beinahe sündhaft eitel wurde.
Ihre grünen Augen mit grauen Sprenkeln in der Iris leuchteten auf, als sie durch das Fenster auf das Meer hinaussah. Weiße Schaumkrönchen tanzten auf den Wellen, und die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Unsichtbar für ihren Blick brachen sich die Wogen an den Felsen des Kliffs mit einem fernen Donnern, das in ihr Erinnerungen an lang vergessene Kindheitstage auslöste.
Sie sehnte sich danach, hinauszulaufen und auf das brodelnde, tosende Wasser zu blicken. Ihre Mutter wäre nun nicht mehr hier, um sie vor der steilen Felskante zurückzuhalten – so viele Jahre schon konnte ihre Mutter sie nicht mehr beschützen.
Dieser Ort schien voll von Erinnerungen an ihre Mutter zu sein. Das Bett, die Vorhänge, die Decken, die geschnitzten Stühle, die Kleiderpresse und die Wandteppiche, die neben den Fensteröffnungen hingen und die ihre Mutter mit eigenen Händen angefertigt hatte, all das erweckte Sehnsüchte und Gefühle. Genevra spürte nun erst recht den schmerzlichen Verlust. Tränen schimmerten in ihren Augen. Wie anders wäre ihr Leben verlaufen, wenn ihre Mutter noch lebte.
Und doch – wollte sie denn etwas anderes sein als die Gemahlin Robert St. Aubins?
Nein. Sie musste sich zusammenreißen. Entschlossen wandte sie sich vom Fenster ab. Es hatte keinen Sinn, dem nachzutrauern, was hätte sein können, wenn ein neues Leben vor ihr lag. Sie wollte sich wenigstens um die kleinen Dinge kümmern, die ihr persönlich gehörten, die ihre Mutter hier zurückgelassen hatte. Vielleicht war sogar die Statue der Muttergottes dabei! Sie wollte Martin fragen, ob er von ihrem Verbleib wusste.
Sie setzte sich auf einen Stuhl und beobachtete St. Aubin, der nun seine Briefe beendet hatte, Sand auf die Tinte streute und das Pergament faltete, es mit Wachs verschloss und seinen Siegelring eindrückte, den er an einem seiner kräftigen langen Finger trug. Diese Finger, die ihren Körper so innig und so gefühlvoll liebkost hatten, wenn auch die Hand hart und rau war und gewohnt, schwere Waffen statt der Feder zu führen. Genevras Pulsschlag wurde heftiger, sie errötete und wandte ihren Blick von ihm ab, als er auf die Außenseite des gefalteten Bogens den Ort der Bestimmung schrieb.
Er stand auf, schwenkte den Brief einige Male, um die Tinte zu trocknen, und rief nach Alan, der sofort eintrat. Er übergab ihm das Schreiben, damit es gleich weiterbefördert wurde. Ein Bote würde in mehreren Tagesetappen nach Thirkall reiten, und die Antwort seiner Mutter zurückbringen.
St. Aubin wandte sich Genevra zu. „Nun bin ich bereit. Verzeiht, dass ich Euch warten ließ.“
Genevra erhob sich und ging zum Fenster. „Ich habe inzwischen das Meer beobachtet, Mylord. Erzählt doch, wie ist das, wenn man es mit dem Schiff befährt?“
Er verzog das Gesicht. „Kalt und nass. Viele werden seekrank. Ich hatte Glück, und der Wellengang rief bei mir keine Übelkeit hervor. Es hat mir sogar gefallen, selbst wenn wir für Wochen im Kanal kreuzen mussten, weil der Wind gegen uns war. Doch alles in allem bin ich lieber
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