Historical Exklusiv Band 36
Männer erkannten sie und grüßten ehrerbietig.
In dieser Höhe blies ein eisiger Wind, und Genevra, die den Gruß mit einem Kopfnicken erwidert hatte, zog die Chamarre fester um ihre Schultern. Nun war sie froh, dass sie sie angezogen hatte. Auf zwei Seiten konnte man das weite Meer sehen, nur im Westen erkannte man die Küste, die auf der anderen Seite die Bucht begrenzte. Ein Punkt im Ozean im Norden zog ihren Blick an. Dorthin deutete sie.
„Was ist das für ein Land?“, fragte sie einen der Bewaffneten.
„Eine Insel. Man nennt sie Lundy, Mylady. Niemand lebt dort, außer einem Schäfer und seiner Herde.“
Nun wandte sich Genevra landeinwärts. Wie ein verknittertes, kariertes Tuch breitete sich das grüne Land vor ihr aus, wie ein Tischtuch, bedeckt mit Brotkrumen, Rindenstücken, die in den Falten hängen geblieben waren, und mit zahlreichen Flecken. Das waren die Hecken, die grünen Wiesen mit den Schafherden und die Hütten zwischen den Feldern, auf denen die Bauern und Pächter ihr Getreide anbauten und Schweine, Gänse, Hühner und Kühe hielten.
Die Herrendomäne lag näher zur Burg, ein breiter Streifen Land, der sich entlang des Flusses erstreckte und in Felder aufgeteilt war. Einige davon waren gepflügt, und es zeigte sich bereits das erste Grün. Tagelöhner hatten ihre kleinen Hütten dicht zusammengedrängt an den Rand gebaut. Vieh tummelte sich auf dem Weideland auf den Hügeln. Genevra stieß einen Seufzer der Zufriedenheit aus.
St. Aubin betrat nun gleichfalls das Dach, gefolgt von Martin. Sie blickte ihn mit leuchtenden Augen an und machte eine weitausholende Handbewegung.
„Merlinscrag, Mylord.“
Er trat an ihre Seite und blickte schweigend über das Land.
„Ein reiches Erbe, Mylady“, sagte er leise. „Vertraut Ihr mir, dass ich es gut verwalte?“
Sie schaute ihn an, als er den Blick weit über das Land schweifen ließ. Sein Ausdruck verriet Entschlossenheit und Kraft. Ja, er würde sicherstellen, dass das Land gedieh.
„Ja, Mylord“, antwortete sie. „Ebenso wie Ihr das Land verwaltet, das Euch bereits gehört.“
Er drehte sich unvermittelt zu ihr um, Zorn in den Augen. Schon glaubte sie, etwas Falsches gesagt zu haben, doch seine Antwort zeigte, dass sein Zorn gegen ihn selbst gerichtet war.
„Ich habe mein Erbe bis jetzt vernachlässigt. Ich habe es anderen überlassen, während ich in fremden Landen für meinen König kämpfte. Die Leute haben ihre Sache schlecht gemacht. Euch hat man besser gedient als mir.“
„Ja“, sprach Genevra. „Ich glaube, ich habe meinem Onkel unrecht getan. Er hatte Martin die Verantwortung übertragen und gute Einkünfte erzielt. Nur sehr ungern hatte er seine Rechte aufgegeben, und ich zweifle nicht daran, dass meine Tante, hätte, sie alles gewusst und ihren Willen durchgesetzt, die Truhen ausgeräumt hätte.“
„Mylady.“ St. Aubin ergriff Genevras Hand. „Ich möchte das Land, das man mir anvertraut hat, zu Wohlstand bringen und alle Leute, die mir untertan sind, zufrieden und glücklich sehen. Wollt Ihr mir dabei helfen?“
Genevra erwiderte den Blick aus seinen blauen Augen, und ihre eigenen Augen leuchteten auf. „Ja, mein Gemahl“, sagte sie mit fester Stimme. Es war das erste Mal, dass sie ihn so nannte. „Sagt mir, was ich tun soll. Meine größte Freude jedoch wird sein, Eure Güter mit Euch zu verwalten und Euch Kinder zu gebären, vor allem einen Sohn, der einstmals alles erben wird.“
Er hielt den Atem an. Genevra sah etwas in seinen Augen, das sie entzückte, und erschreckte zugleich. Er hob ihre Hand empor und drückte sie fest an seine Lippen.
„Dann habe ich wirklich Glück mit meiner Frau“, sagte er leise.
Keiner von beiden dachte an die Gegenwart des Vogtes und der Wachen.
Martin lenkte mit einem trockenen Räuspern ihre Aufmerksamkeit auf sich. Im selben Augenblick begann eine Glocke zu läuten.
„Mittag!“, rief Martin aus. „Die Glocke läutet nur dreimal am Tage: um das Haus zu wecken, zum Mittagsmahl und um zum Abendmahl zu rufen. Soll ich auf dem Weg nach unten vorangehen?“
„Nicht wie im Kloster“, bemerkte Genevra, als sie sich zum Gehen wandte. „Dort läuteten die Glocken den lieben langen Tag!“
„Grauenvoll“, meinte St. Aubin zustimmend. Um seine Lippen zuckte es, und der Anflug eines Lächelns lag in seinen Augen.
„Es muss die Luft sein“, sagte sie voll des Mutes, als sie die Treppen hinabstiegen. „Ich bin schrecklich hungrig!“
Genevra verstand ihren
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