Historical Exklusiv Band 36
auf dem festen Land.“
Genevra blickte weiter aus dem Fenster. „Dabei sieht es so warm, so ruhig und friedlich aus, bis auf die Wogen, die sich an den Klippen brechen.“
„Man hat von hier oben und aus der Ferne einen gänzlich anderen Eindruck. Seht doch!“, rief er plötzlich und stand ganz nahe hinter ihr. „Seht Ihr das kleine Fischerboot, wie es auf den Wellen schaukelt, wie das Wasser über seinen Bug hinwegspritzt? Die Männer mit ihren Netzen da draußen werden sich alles andere als warm und friedlich fühlen!“
Als sich Genevra umdrehte, berührte sie sein Gewand. „Ich hoffe, sie haben einen guten Fang. Vielleicht kann Martin einige Fische kaufen für das Abendmahl. Als Kind habe ich sehr gerne frischen Fisch gegessen.“
St. Aubin hatte eine Hand auf das Fenstersims gestützt und richtete sich nun auf. „Vielleicht.“ Fragend hob er die Brauen, als er einen Schritt vorwärts tat. „Soll ich nach ihm rufen lassen?“
„Das ist nicht notwendig. Wir werden ihn sicher irgendwo in der Burg treffen.“ Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Und jetzt kommt! Ich möchte zu gerne meine alte Bekanntschaft mit Merlinscrag erneuern.“
St. Aubin atmete schnell. Er ging zur Tür. „Gut. Und ich möchte die Mitgift sehen, die meine Braut mir in die Ehe mitgebracht hat.“
Bevor die schwere, beschlagene Tür geöffnet wurde, warf Genevra einen Blick durch das kleine Guckloch, das sich an der Seite befand. Das Glas war nicht sehr klar und erlaubte nur einen undeutlichen Blick auf das geschäftige Treiben in der großen Halle. Als die Tür geöffnet wurde und sie hindurchschritten, drang der Lärm zu ihnen hinauf.
Wie durch Zauberhand tauchte plötzlich am Fuß der Treppe Martin auf. Er hatte sich in seinem Kontor aufgehalten, das mehr als die Hälfte des Raumes unter der Kemenate einnahm. Der übrige Platz wurde als Lagerraum für besonders wertvolle Dinge genutzt. Ein Posten hatte ihn bei ihrem Eintritt verständigt.
Er lud sie ein, einen Blick in die Rechnungsbücher zu werfen, die er untadelig geführt hatte. Aus dem Lagerraum neben dem Kontor drangen exotische Gerüche von Gewürzen aus aller Welt, Pfeffer, Ingwer, Nelken, Zimt, Galgantwurzel und Muskatnuss. Auch Honigbrot wurde hier gelagert.
Als sie zu den großen Vorratskellern kamen, die sich unterhalb der großen Halle in den Gewölben befanden, brach Genevra in Begeisterung aus.
„Hier ist mehr als genug, um einer Belagerung standzuhalten!“, rief sie und blickte auf die großen Fässer mit gepökeltem Fleisch, die riesigen Schinken und Speckseiten, die von den Balken hingen, die Leinensäcke mit Weizen und anderem Getreide, mit getrockneten Erbsen und Bohnen, die Salzfässer und Bündel von Zwiebeln und Knoblauch, Kisten mit Lauch und noch vielen anderen Sachen, die wohlgeordnet und gestapelt in Regalen und auf dem Boden lagen.
Am anderen Ende des Kellers standen einige Fässer Branntwein und Wein, und Dutzende Fässer Bier waren dort aufgestapelt. Fenchelwurzeln und getrockneter Dill, Schnittlauch, Rosmarin, Petersilie, Minze, Thymian, Ysop und Salbei verbreiteten einen scharfen Geruch auf dieser Seite des unterirdischen Gewölbes. Töpfe mit Gewürzsamen, Koriander, Fenchel, Anis, Kümmel und Senfkörnern standen in Reih und Glied auf dem Regal.
„Wir haben hier viele Mäuler zu stopfen, Mylady“, erklärte Martin. „Sollte es notwendig sein, haben wir hier genug Vorräte, um jeden unserer Pächter, dessen Familie zu hungern droht, zu versorgen.“
Genevra schenkte Martin ein strahlendes, warmes Lächeln. „Ich bin glücklich, dass Ihr und der Amtmann Euch um sie kümmert, Martin.“ Der Name kam ihr leicht über die Lippen. Sie hatte ihn schon früher so genannt. „Doch überrascht es mich, dass Lord Heskith Euch diese Großzügigkeit gestattete.“
Martin zuckte die Schultern. Er grinste ein wenig. „Solange es uns möglich war, die Zinsen aufzubringen, die er erwartete, stellte sein Verwalter nur selten Fragen, Mylady. Ich habe so gearbeitet, wie Eure Mutter es gerne gesehen hätte, und habe das Erbe für Euch bewahrt, wie es ihr Wunsch gewesen war. Ich hielt es nicht für notwendig, alle Einzelheiten meiner Arbeit darzulegen, solange niemand danach gefragt hat.“
„Aber jetzt“, warf St. Aubin ein, „jetzt seid Ihr mir gegenüber Rechenschaft schuldig.“
Genevra warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Er konnte doch nicht befehlen, dass nun alle Wohltaten denen gegenüber, die ihm untertan waren, zu beenden
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