Historical Exklusiv Band 36
sein.“
„Mylady, ich kann es nicht leugnen, dass ich es vorgezogen hätte, mit meinem Herrn zu reiten. Aber man hat mir das Kommando über die Bewaffneten übertragen, solange ihr Hauptmann abwesend ist, und das sollte mir Entschädigung genug sein. Außerdem“, fügte er höflich hinzu, „wie kann ich es bedauern, für Eure Sicherheit verantwortlich zu sein, Mylady? Ihr wisst, wie sehr ich Euch bewundere und wie gern ich Euch diene.“
Genevra, einsam und allein in dem großen Bett, schlief in dieser Nacht sehr unruhig. In ihrem Traum glaubte sie, Robert verloren zu haben. Sie lief auf der Suche nach ihm durch die Burg, erklomm steile Treppenstufen, drang durch ihr unbekannte, finstere und bedrohlich wirkende Gänge, spürte die Hitze von riesigen Höllenöfen, über denen ein Koch mit einem großen Dreizack wachte, stolperte zwischen Pferden mit stampfenden Hufen und bleckenden Zähnen herum – doch sie konnte ihn nicht finden.
Verzweifelt rannte sie zu dem Ausfallstor an der inneren Burgmauer, das auf die Klippen hinausführte. Es sah seltsam aus und ließ sich nicht öffnen. Mit den Fäusten trommelte sie dagegen. Dann, plötzlich, war sie außerhalb der Mauern und lief zum Klippenrand. Sie stand da, wie sie es schon in früheren Träumen getan hatte, und blickte auf den Schaum der Wellen, der unter ihr an den Felsen brodelte. Und genau wie vorher sah sie hinter sich den Goldenen Adler stehen, der sie betrachtete, als sie sich umwandte.
„Robert!“
Ob sie seinen Namen laut im Schlaf hinausschrie oder es nur träumte, wusste sie nicht mehr. Doch sein Bild verblasste, als sie schweißgebadet aufwachte.
Zwei Tage später kündete das Horn der Wachen am Tor eine Gruppe an, die sich der Burg näherte. Die Schabracken und das reiche Zaumzeug der Pferde deuteten an, dass ein Mann von einiger Bedeutung den Zulass zu Merlinscrag begehrte.
Genevra blickte aus dem Fenster ihres Schlafgemaches, als die Gruppe eintraf. Sie erkannte nicht die Farben des Wappens auf dem Banner, aber der Ritter wurde von vier Bewaffneten eskortiert und ritt auf einem prächtig aufgeputzten, kostbaren Pferd. Unter seinem kurzen weißen Cape trug er eine leuchtend rote Tunika. Ein scharlachrotes Barett bedeckte seine Haare. Als die Sonne zwischen den ziehenden Wolken hindurchblitzte, schien alles an ihm zu strahlen.
Vor dem Wachtturm hielten die Reiter an. Der Herold kündete seinen Herrn an, und die Torwache antwortete. Genevra konnte nicht hören, was gesprochen wurde. Captain Nori ritt aus, von einigen Leuten seiner Truppe zu Fuß begleitet, um die Reisenden zu begrüßen.
Nachdem sie einige Worte gewechselt hatten, geleitete er persönlich den Ritter über den Burggraben und durch das Torhaus. So wurde dem Ritter also der Zulass gewährt. Nori führte ihn den Hügel hinauf zum inneren Burghof und in die Große Halle. Er sah also in ihm einen Freund, keine Gefahr für die Burg und ihre Bewohner.
Sie musste nun hinuntergehen und den Gast gebührend willkommen heißen, dessen prächtige Aufmachung sie in ihrem eigenen alten grauen Kleid wie einen hässlichen Spatz aussehen ließ.
„Meg! Wir haben einen Besucher! Such mir ein passendes Gewand heraus!“
Meg flickte gerade einen Riss in der Reitkleidung ihrer Herrin. Sie legte die Arbeit beiseite, stand auf und warf Genevra einen fragenden Blick zu. „Wer ist es denn, mein Täubchen?“
„Ich weiß es nicht. Captain Nori hat ihn und seine Leute freundlich aufgenommen. Es muss also alles seine Ordnung haben. Ich kann doch nicht hinuntergehen und ihm unsere Gastfreundschaft anbieten, in diesem Kleid, das noch aus meinen Klostertagen stammt!“
„Das könnt Ihr wahrlich nicht, denn Ihr seid jetzt Lady St. Aubin!“ Meg brachte eines der neuen Kleider herbei, die sie nach der Ankunft in Merlinscrag für Genevra genäht hatte. Seine Lordschaft hatte nach Barnstaple gesandt, um die notwendige Seide zu kaufen. „Ist Euch dieses Gewand recht?“
Die Cotte war aus Seidensarsenet, in der Farbe von Schlüsselblumen. Der ärmellose Überwurf wurde vorne mit juwelenbesetzten Spangen geschlossen.
„Ja. Beeile dich, Meg. Ich bin neugierig, wer unser Gast ist. Er sieht jung aus. Ein Ritter.“
Meg half ihr beim Anlegen des Kleides und ersetzte dann den einfachen Schleier mit einem modischen Hennin aus feinem Geflecht. Er bedeckte vollständig ihr Haar und brachte die hohe Stirn besonders gut zur Geltung. Ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. Es war ihr erster Gast, und sie
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