Historical Exklusiv Band 36
das Hinterteil gab.
Bei dem ersten lauten Schrei ging ein so glückliches Leuchten über Annys Gesicht, dass Genevra die Tränen in die Augen traten. All die Schmerzen und Anstrengungen mussten es also wert sein.
„Er hat kräftige Lungen“, sagte Meg lächelnd.
„Wie werdet Ihr ihn nennen?“, fragte Genevra.
Annys lächelte schüchtern, doch voll Stolz. „Martin und ich hoffen, dass Ihr nichts dagegen habt, wenn wir ihn nach Lord Robert nennen.“
„Noch ein Robin?“, sagte Genevra mit einem Lächeln. Sie beobachtete aufmerksam, wie Mariel mit ihren krummen, knochigen Fingern die Nabelschnur durchtrennte und abband, das Neugeborene mit einem nassen Tuch abrieb, vorsichtig abtrocknete und es in Windeln wickelte. „Natürlich haben wir nichts dagegen. Ich bin sicher, Seine Lordschaft fühlt sich geehrt.“
„Ihr werdet nicht Euren eigenen Sohn Robert nennen?“
„Vielleicht.“ Sie hatten bis jetzt noch nicht darüber gesprochen. Genevra wusste nicht, welchen Namen sie bevorzugte, und noch weniger kannte sie Roberts Wunsch. „Doch selbst wenn wir ihm diesen Namen geben, dann rufen wir ihn vielleicht Rob, zumindest solange Robin noch Knappe bei Lord Robert ist.“
„Da, gute Frau, nimm dein Kind.“ Mariel legte das sorgsam gewickelte, wimmernde Kind in die Arme seiner Mutter. „Leg’s an deine Brust. Bevor du ruhen kannst, muss noch die Nachgeburt raus.“
Genevra und Meg blieben, bis Annys ruhig und sicher in ihrem Bett lag und Klein Robin in seiner Wiege schlief.
„Ich komme morgen früh, um nach Euch zu sehen“, versprach Genevra.
Die beiden Frauen kehrten schweigend in die große Halle zurück. „Nun“, sagte Genevra schließlich, „jetzt weiß ich wenigstens, warum man die Geburt eines Kindes Wehen nennt.“
„Ihr werdet tapfer den Schmerz ertragen, mein Täubchen. Ihr seid noch jung.“
„Und auch du, Meg. Ich bete jeden Tag für dich, dass du eine leichte Geburt hast. Es ist nicht deine Schuld, dass du so lange warten musstest, bis du heiraten konntest.“
„Habt Ihr schon mit Old Mariel gesprochen, ob sie Euch bei Eurer Geburt hilft, mein Täubchen?“
„Noch nicht. Doch was ich heute gesehen habe, gab mir großes Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Ich werde bald mit ihr sprechen.“
Genevra besuchte sehr oft die Hütte, in der Kräuter getrocknet, destilliert, infundiert und gebraut wurden, wo man Pillen daraus drehte und Salben rührte. Diese Arzneien wurden von ihr selbst, von Father John und denen angewandt, die die Kranken und Verletzten pflegten.
Sie hatte im Kloster oftmals der Schwester Apothekerin und der Schwester Krankenpflegerin geholfen und sich sehr für die Herstellung von Arzneien interessiert. So konnte sie sich Fähigkeiten in der Pflege der Kranken und Verwundeten aneignen. Auch in der Burg fragte man sie oft um Rat.
Doch noch nie zuvor war sie jemandem wie Old Mariel begegnet, die nur in die Burg kam, um Kräuter zu bringen, die sie selbst sammelte, oder eben um bei einer Geburt zu helfen. Die meisten besuchten Old Mariel in ihrer Hütte, die am Rand des Dorfes lag.
Man sah in ihr die weise Frau des Dorfes, obwohl manche Leute Angst vor ihr hatten, denn man munkelte, dass sie Zauberkräfte besitze. Sie sei eine Hexe, flüsterte man hinter vorgehaltener Hand. Wie sonst sei es möglich, dass sie in die Zukunft blicken und so viele Krankheiten heilen konnte?
Der Priester jedoch duldete ihre Anwesenheit, fragte sie zuweilen um Rat, und da man sie auch in die Burg holte, wagte niemand, der alten Frau etwas anzutun.
Nachdem sie gesehen hatte, wie Old Mariel Annys bei der Geburt des kleinen Robins beigestanden hatte, beschloss Genevra, die Alte in ihrer Hütte zu besuchen. Sie lag in Sichtweite des Burgtores, und in dem kleinen Ort lauerte gewiss keine Gefahr.
Der Vorfall mit Drogo war außergewöhnlich und unangenehm gewesen. Es war jedoch unwahrscheinlich, dass er sich wiederholte. Selbst Alan stimmte zu, dass sie den kurzen Weg ohne Begleitung zurücklegen könne. Genevra wünschte alleine zu gehen, da Old Mariel vielleicht Dinge sagen konnte, die niemand, nicht einmal Meg, hören sollte.
Sie wählte einen sonnigen Herbsttag für ihren Besuch. Eine leichte Brise verhinderte, dass sich von der See her Nebel ausbreitete, was in dieser Jahreszeit öfter geschah. Als Geschenk nahm sie einen alten, aber warmen, fellgefütterten Umhang mit und eine wollene Cotte für die kalten Wintertage, die es an der Küste gab.
Genevra klopfte an die schiefe Holztür
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