Historical Exklusiv Band 36
und folgte der Aufforderung der alten Frau einzutreten. Über dem Feuer hing ein großer Kupferkessel, und ein angenehmer Geruch erfüllte die Hütte.
Genevra schloss die Tür hinter sich und hüstelte. Lichtfetzen fielen durch schmale Ritzen und Spalten zwischen den Brettern der Tür. Sonst drang das Licht nur durch ein kleines Fenster unterhalb der Dachtraufe, das mit einer durchsichtigen, dünnen Lederhaut bedeckt war, und durch die Öffnung im Dach, durch die der Rauch aufsteigen konnte.
Sobald sich Genevras Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, das durch den Feuerschein des Herdes verstärkt wurde, sah sie die übrige Einrichtung der Hütte. Zwei Stühle, eine kleine, grob gezimmerte Truhe und einen Haufen von Decken, der wahrscheinlich das Bett darstellte.
In den Rauchschwaden unter dem Dach entdeckte sie an den Balken die Kräuterbündel, die dort zum Trocknen aufgehängt waren. Dazwischen hingen zahlreiche Gerätschaften. An der Längswand des Raumes standen auf zwei rohen Regalen Flaschen und Krüge, Flakons und kleine Kästchen. Der Boden war aus Lehm, auf den frisches Stroh und Kräuter gestreut waren.
„So, so“, sagte die alte Frau, „nun seid Ihr also gekommen.“
Genevra rieb sich die tränenden Augen. „Ihr habt mich erwartet?“, fragte sie zögernd.
„Ja, Mylady. Ich wusste, Ihr kommt. Ihr wollt, dass Euch Old Mariel bei der Geburt Eures Kindes hilft, und Ihr wollt sie etwas fragen. Wann soll das Kind kommen?“
„In den ersten Tagen des März, glaube ich.“
Die Alte nickte. „Das könnte stimmen. Ein paar Tage, bevor Eure Dienerin niederkommt, eh?“
„Ja. Wir kommen zur gleichen Zeit ins Wochenbett.“ Meg soll dann in einer Gästekammer Quartier beziehen, dachte Genevra. Doch vielleicht wollte sie auch Martin bitten, eine Hütte für Bernard und Meg zu bauen. Meg war immerhin ein wichtiges Mitglied ihres Haushaltes. Solch eine Gunst wäre gerechtfertigt. Das Kind mag zwar im Stall empfangen worden sein, aber man sollte ihm die Möglichkeit geben, in einer besseren Umgebung aufzuwachsen. „Könnt Ihr uns beiden beistehen?“
„Ach, keine Angst. Da gibt es genug Frauen, die helfen. Mistress Annys ist bis dahin wieder auf den Beinen.“
„Vielleicht ist sie dann wieder schwanger.“
„Nein. Sie hat genug Kinder. Sie weiß schon, wie sie’s verhindern kann.“
Genevra stellte das nicht infrage. Seit Anbeginn der Zeiten haben Frauen Wege gefunden, eine Schwangerschaft zu verhindern oder abzubrechen, nicht immer mit Erfolg, denn die Methoden waren unzuverlässig. Annys hatte ihre Pflicht getan, und sie liebte die Kinder, die sie Martin geboren hatte. Jedes weitere wäre eine Last. Das wusste sie, auch wenn die Heilige Kirche lehrte, dass Gott allein darüber bestimmt.
Daher sagte Genevra nur: „Ach ja.“
Old Mariel rührte in ihrem brodelnden Topf. „Was ist es also, das Ihr wissen wollt, Mylady?“
„Wer mein Vater war.“
Old Mariel sah durch den Rauch in die ängstlich blickenden grünen Augen Genevras, die sie über das Feuer hinweg ansahen. Trotz des Halbdunkels schien sie zufrieden zu sein mit dem, was sie sah.
Sie wandte ihren Blick auf die sich sacht bewegende Oberfläche der Flüssigkeit in dem großen Kupferkessel. Endlos scheinende Augenblicke starrte sie hinein, als könnte sie darin etwas entdecken, was Genevra nicht sehen konnte, denn alles, was sie erkannte, war das schwache Glitzern von Licht auf einer schwarzen Flüssigkeit.
„Ja“, sagte Old Mariel endlich. „Ihr werdet erfahren, wer er war.“
Sie hatte offenbar nicht die Absicht, mehr zu sagen.
„Wie? Wann?“, fragte Genevra.
Mariels Gedanken schienen in eine andere Richtung zu gehen. „Misstrauen ist zwischen Euch und Eurem Mann. Es löst sich, wenn Ihr der Dunkelheit begegnet. Aus der Dunkelheit kommt das Licht.“
Ihre Stimme klang jetzt wie ein Singsang, als spräche sie in Trance.
„Was meint Ihr damit?“
Genevras ängstliche Frage schien Old Mariel wieder in die Wirklichkeit zurückzubringen. Sie blinzelte und hob den Kopf. Ihre Augen schauten ins Leere.
„Ich sah nichts als Dunkelheit und Tod. Doch es lauert keine Gefahr in der Dunkelheit und keine Trauer im Tod. Sie deuten auf Hoffnung. Mehr kann ich Euch nicht sagen.“
Genevra hatte nichts von den Worten der Alten verstanden. Die Enttäuschung ließ ihre Worte schärfer kommen als beabsichtigt. „Das sagt mir gar nichts!“
Old Mariel zuckte zusammen, nahm ihren Kochlöffel und begann wieder umzurühren. „Es
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