Historical Exklusiv Band 42
durch widrige Umstände gezwungen war, mit Nadel und Faden in den geschickten Fingern auf ehrsame Weise ihr Brot zu verdienen. Nick wurde schnell klar, dass seine Tante nicht nur ein paar Samen gesät und den Dingen anschließend ihren Lauf gelassen hatte, nein, sie hatte erhebliche Ausschmückungen vorgenommen.
„Wie schrecklich, dass ein so gut gemeinter Plan der Eltern so furchtbar fehlschlagen konnte“, vertraute gerade eine Matronin einer anderen an.
„Ganz meine Meinung“, erwiderte die andere Dame. Beiden entging, dass Nicks scharfe Ohren mithörten. „Miss Greys Vermögen bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr einzufrieren, um Mitgiftjäger fernzuhalten, ist ja an sich sehr lobenswert, sie aber vorher nicht mit ausreichenden Mitteln zu versorgen …!“
Langsam drehte Nick sich um die eigene Achse, bis er seine Tante zu Gesicht bekam. Sie blickte ihn so vollkommen unschuldig an, dass er beinahe lautlos gelacht hätte. „Biest“, tadelte er sie liebevoll, aber unhörbar, bevor er sich wieder umwandte, um nach Talitha und William Ausschau zu halten. Die Musik hatte geendet, und sie sollte eigentlich auf dem Weg zurück zu ihrer Anstandsdame sein.
Da, dort stand sie, im Gespräch mit William, zwischen lauter aufmerksam lauschenden Gentlemen. Nick fing Williams Blick auf und ruckte leicht mit dem Kopf, um ihm zu signalisieren, dass er sie zurückzubringen hatte, doch es war bereits zu spät. Die Musik setzte wieder ein und Talitha wurde von Jack Hemsley auf die Tanzfläche geführt.
10. KAPITEL
I m Gegensatz zu William wusste Talitha genau, dass sie zu Lady Parry hätte zurückkehren müssen. Als ihre Anstandsdame hatte sie schließlich die Aufgabe, ihre Tanzpartner in Augenschein zu nehmen. Sie war außerdem sicher, dass sie nicht hätte zustimmen sollen, als Mr Hemsley an ihrem Ellenbogen aufgetaucht war und um den nächsten Tanz gebeten hatte. Sein Erscheinen hatte sie jedoch so verunsichert, dass sie nicht in der Lage gewesen war, würdevoll abzulehnen.
Es wurde eine Quadrille gespielt, und Talitha verlor fast den Mut bei dem Gedanken an die Komplexität der Schrittfolgen. Sie schlossen sich drei weiteren Paaren an, und Talitha war zuerst viel zu beschäftigt damit, sich im richtigen Moment dem richtigen Partner zuzuwenden, als dass sie Jack Hemsley viel Aufmerksamkeit geschenkt hätte.
Nach der ersten Runde kehrte ihr Selbstvertrauen jedoch zurück, und sie entspannte sich. Mr Hemsley benahm sich glücklicherweise anständig, und hätte sie nicht gewusst, wie verabscheuenswert er sich einer schutzlosen Frau gegenüber benehmen konnte, so hätte sie sich in seiner Gesellschaft recht wohl gefühlt. Es war offensichtlich, dass er nicht die blasseste Ahnung hatte, dass er mit dem Modell für die Göttin Diana tanzte. Außerdem bezweifelte sie, dass er sich an die farblose Hutmacherin erinnerte, der er in Lady Parrys Salon zugezwinkert hatte.
Allerdings glaubte sie fest daran, dass er jedes noch so kleine Gerücht über ihr Vermögen und ihre Verhältnisse begierig in sich aufgesogen haben musste und dass dieser Tanz sein Eröffnungszug in dem Spiel war, die neue Erbin zu umgarnen. Sie würde den kleinen Triumph, ihm förmlich für den Tanz zu danken, einen weiteren jedoch kühl abzulehnen, aus vollen Zügen genießen. Gerade hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, da lichteten sich die Reihen der Tanzenden, und sie erhaschte einen Blick auf den Earl of Stangate, der sie über den Tanzboden hinweg beobachtete.
Seine Ablehnung war so deutlich zu spüren, als hätte er sie ihr zugerufen. Zornesröte überzog ihre Wangen.
Dachte er denn, dass er, nachdem er sie geküsst und ihr eine Lektion erteilt hatte, hier im Ballsaal den großen Beschützer spielen konnte? Talitha schäumte vor Wut. Es war an der Zeit, dass sie ihm eine Lektion erteilte. Heute Abend würde sie ihm schon zeigen, dass sie sich nicht so leicht von irgendwelchen Dandys oder Mitgiftjägern einfangen ließ und mit einem Jack Hemsley spielend fertig wurde.
Sie schob den Gedanken daran weit von sich, dass seine Schweigsamkeit, als sie an diesem Abend die Treppe herabkam, sie verletzt hatte. Wenn sie nämlich anfing, darüber nachzudenken, würde sie zu weinen beginnen, und das wäre höchst lächerlich. Sie brauchte Nicholas Stangates Zustimmung oder Bewunderung nicht. Auch so wusste sie, dass sie sehr hübsch aussah. Lady Parry hatte es ihr gesagt, Williams offene Bewunderung hatte es ihr bestätigt, und der Ausdruck im
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