Historical Exklusiv Band 42
Ehrfurcht, derjenige gewesen zu sein, der ihn ihr gegeben hatte. War das ein Vorgeschmack auf das Gefühl eines Mannes, wenn er seiner Braut die Unschuld nahm? Der Gedanke schreckte ihn so auf, dass er plötzlich auf seinem Platz zur Seite zuckte und dabei William am Ellenbogen traf.
„Tut mir leid. Ein Krampf.“ Der Gedanke, Talitha in die Geheimnisse der Liebe einzuführen, war so überwältigend erotisch, dass er dankbar für die schwache Beleuchtung im Inneren der Kutsche war. Doch es war das Wort „Braut“, das ihn wirklich erschütterte. Aus einer Hutmacherin eine Countess zu machen, noch dazu eine mit vermutlich skandalösen Geheimnissen, war in seinen Plänen nicht vorgesehen. Er brauchte keine vermögende Braut und war so begehrt, dass er sich aus den Schönheiten der gehobenen Gesellschaft die aussuchen konnte, die er haben wollte. Irgendwann plante er, eine wohlerzogene junge Dame zu finden, die sich hübsch manierlich in sein Leben eingliedern ließ, ihm Erben schenkte, sein Haus verschönerte und sein Leben im Allgemeinen erträglich machte.
Nick biss die Zähne zusammen, schlug vorsichtig die Beine übereinander und überdachte seine Taktik. Er musste genau herausfinden, was das für ein Geheimnis war. Das war das Erste. Dann musste er dagegen angehen oder – sollte das nicht möglich sein – versuchen, es zu vertuschen. Wenn es sich um etwas wirklich Rufschädigendes handelte, würde er Miss Grey aus dem Haushalt seiner Tante entfernen und ihr mit ihrer Schule und den Logierhäusern schnellstmöglich auf die Füße helfen. Alles natürlich in sicherer Entfernung zur gehobenen Gesellschaft, das wäre das Beste und für alle Beteiligten die bequemste Lösung. In der Zwischenzeit musste er sicherstellen, dass ihr niemand einen Antrag machte. Der Gedanke an einen lauernden Skandal, der durch die Tatsache verschlimmert wurde, dass sich das Mädchen mit einem Mitglied der Gesellschaft eingelassen hatte, wäre einfach zu viel.
In düstere Gedanken verstrickt, entstieg er der Kutsche bei ihrer Ankunft mit solch grimmiger Miene, dass bald Gerüchte im Ballsaal die Runde machten, Lord Arndale habe einen vernichtenden Schlag an der Börse erlitten, sein Lieblingsrennpferd sei gestorben oder er sei von einem Ehemann herausgefordert worden. Nach kurzem Nachdenken wurden diese Gerüchte jedoch allgemein als unwahrscheinlich beigelegt. Arndale war zu gerissen, als dass er durch falsche Investitionen Bankrott machen würde, sein Stall war zu gut bestückt, als dass der Verlust eines Tieres ihn sehr schmerzen würde, und er war bekannt dafür, dass er seine Amouren äußerst diskret handhabte und um verheiratete Damen einen großen Bogen zu machen pflegte.
An diesem Abend gerierte er zum Rätsel. Die Tatsache, dass er offenbar nicht gewillt war, zu tanzen, gab erneut Anlass für Spekulationen. Er stand an einen Pfeiler gelehnt neben seiner Tante, die Arme vor der Brust verschränkt, und betrachtete die Tanzenden mit gedankenverlorener Teilnahmslosigkeit.
„Er ist ja soo romantisch“, erklärte eine leicht zu beeindruckende junge Dame gerade schmachtend ihrem Bruder. „Genau wie Lord Byron.“
„Ich muss doch sehr bitten, Lizzie!“, erwiderte dieser schockiert. „Du kannst doch Lord Arndale nicht mit diesem Möchtegern-Poeten vergleichen! Mit Byron sollte man sich gar nicht abgeben – und er legt ganz schön an Gewicht zu.“
Das Objekt ihrer Unterhaltung beobachtete seinen Cousin, wie er mit Talitha im Arm über die Tanzfläche glitt, und bemühte sich, seine mürrische Miene in den Griff zu bekommen. Sie waren ein sehr attraktives Paar, beide blond, beide so hochgewachsen, dass sie aus der Menge aufragten, und beide mit einer natürlichen Anmut gesegnet – was die Tatsache aufwog, dass William dazu neigte, über seine eigenen Füße zu stolpern, und Talitha noch nie in der Öffentlichkeit getanzt hatte.
Im Grunde hegte er nicht die Befürchtung, dass Talitha versuchen würde, sich William zu angeln, was auch immer sie ihm vorspielte. Nur warum gerieten dann seine Gefühle so dermaßen in Aufruhr? Er legte sich einen Plan zurecht, wie er mit dem jungen Ding verfahren wollte. Sie würde sich noch wundern.
Lady Parry hatte ihre üblichen Busenfreundinnen um sich geschart. Dem aufgeregten Geschnatter nach zu urteilen, hatte sie ihre Sache gut gemacht, Talitha auf ihren ersten Auftritt vorzubereiten.
Die Damen seufzten und stöhnten bei dem Gedanken an das kleine Mädchen aus gutem Hause, das
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