Historical Exklusiv Band 42
mit den Fingern über seine Wange.
„Sollen wir uns zum Essen begeben, damit die Scherben weggefegt werden können?“ Sie hielt ihm ihre Hand so hin, dass er sie ergreifen musste, wenn er aus dem Sessel aufstehen wollte. Dann hakte sie sich bei ihm unter und drückte sich an ihn, als sie ins Speisezimmer gingen.
Das Abendessen verlief extrem verwirrend. Dass sie Devlins Geliebte besucht hatte, konnte er ihr noch halbwegs glauben. Es war etwas, das durchaus zu Serena passte. Doch er spürte, sie verheimlichte ihm irgendetwas. Während des Essens fiel ihm auf, dass sie ihn immer wieder ansah. Wenn er aufblickte, reagierte sie mit einem Lächeln, also keineswegs wie eine untreue Ehefrau – oder zumindest nicht so, wie man es von einer untreuen Ehefrau erwarten würde.
„Wohin wirst du heute Abend gehen, Serena?“
Sie seufzte. „Ich habe beschlossen, zu Hause zu bleiben. Derzeit habe ich von der feinen Gesellschaft genug.“
Argwöhnisch sah er auf: „Und was ist mit Devlin?“
„Devlin? Meinst du nicht, er kommt auch ohne mich zurecht? Bislang hatte ich jedenfalls diesen Eindruck.“
Ned starrte auf seinen Hummer. Wenn er sie so reden hörte, konnte er beinahe jedes Wort glauben. Schließlich hatte Devlin seine junge Geliebte … und dazu dieses hübsche Kind. Er brauchte Serena wirklich nicht.
Was Ned aber zu schaffen machte, war die Tatsache, dass Serena seinen jüngeren Bruder hätte bevorzugen können. Devlin konnte mit einem simplen Lächeln bezaubern, eine Begabung, die ihm selbst gänzlich fehlte. Serena hatte ihn geheiratet, weil es der Wunsch ihres Vaters gewesen war. Es war für beide Seiten eine hervorragende Partie gewesen, und dass Ned Serena vom ersten Moment an geliebt hatte, tat nichts zur Sache. Sein Vater hatte ihm vorgeschrieben, sie zu heiraten, und das war es.
Er stellte fest, dass Serena ihn schon wieder ansah. Ihre Blicke trafen sich, und erst nach einem Moment schaute sie weg, während ihm allmählich heiß wurde.
„Dann wirst du dich heute früh zu Bett begeben?“, fragte er. Der Gedanke daran, dass Serena in der weißen Bettwäsche wie ein Engel wirkte, sorgte nur dafür, dass ihm noch hitziger zumute wurde.
„Ich bin nicht müde“, erwiderte sie. „Aber ich habe genug von Lärm und Menschen und Tratsch. Gehst du heute Abend aus, Ned?“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.
Worauf hoffte sie? Dass er blieb? Oder dass er ging? O nein, er würde ihr nicht den Gefallen tun und das Feld räumen.
„Ich bevorzuge es, den Abend in Ruhe zu verbringen. Das weißt du, Serena.“
Sie legte den Kopf schräg und schürzte die Lippen. „Du warst in den letzten Wochen auch sehr oft ausgegangen.“
War ihm etwa eine andere Wahl geblieben? Einen Bogen um Feiern und Bälle zu machen hieß zugleich, Serena und Devlin unbeobachtet zu lassen.
„Ja, um ein Auge auf meinen Bruder zu haben“, gab er verkniffen zurück und trank einen Schluck Wasser.
Seine Antwort schien sie zu enttäuschen. Kurze Zeit später zog sie sich zurück, strich aber beim Hinausgehen mit den Fingerspitzen flüchtig über seinen Rücken. Das Gefühl hielt noch an, nachdem sie längst das Zimmer verlassen hatte.
Nach dem Essen zog Ned sich in sein Zimmer zurück und nahm eine Karaffe Brandy mit. Kaum hatte er das Schlafzimmer betreten, legte er sein Halstuch ab. Sein Kammerdiener kam zu ihm und half ihm aus Jacke und Weste, hängte die Kleidung auf und ließ Ned auf dessen eigenen Wunsch allein.
Er zog die Schuhe aus und machte es sich in dem abgewetzten Ledersessel bequem, der schon so lange in diesem Zimmer stand, wie Ned zurückdenken konnte. Seine Hand schmerzte höllisch, als er das Glas Brandy hochnahm, das er sich eingeschenkt hatte. In einem Zug trank er das Glas aus, verschloss die Karaffe wieder mit dem Stöpsel und lehnte sich zurück. Er hoffte, der Brandy würde ihn bald einschlafen lassen.
Tatsächlich erfüllte das hochprozentige Getränk seinen Zweck, da er schon bald eindöste und zu träumen begann. Es waren beängstigende Träume, in denen er Serena und Devlin sah und in denen er sie beide verlor.
„Ned? Ned?“, hörte er auf einmal eine leise Stimme.
Er machte die Augen auf und schoss förmlich aus seinem Sessel. Serena stand vor ihm, ihr blondes Haar und das dünne weiße Nachthemd leuchteten im Schein eines Kerzenleuchters, der hinter ihr auf der Anrichte stand.
„Was ist denn passiert?“, rief er, überzeugt davon, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste, wenn sie aus freien
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